Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Café der verlorenen Jugend - Modiano, P: Im Café der verlorenen Jugend

Im Café der verlorenen Jugend - Modiano, P: Im Café der verlorenen Jugend

Titel: Im Café der verlorenen Jugend - Modiano, P: Im Café der verlorenen Jugend
Autoren: Patrick Modiano
Vom Netzwerk:
Lächeln. Adamov hingegen zeigte sich weniger umgänglich. Aus seinem durchdringenden Blick hätte man schließen können, dass sie ihm irgendwie angst machten.
    Ich hatte zwei Automatenbilder von dieser Jacqueline Delanque in der Tasche … Damals, als ich noch für Blémant arbeitete, hat es ihn immer erstaunt, mit welcher Leichtigkeit ich ganz gleich wen identifizierte. Es reichte, dass mir ein Gesicht ein einziges Mal begegnet war, und schon blieb es eingeprägt in mein Gedächtnis, und Blémant foppte mich mit dieser Begabung, einen Menschen sofort von weitem wiederzuerkennen, selbst im Halbprofil oder von hinten. Ich war also kein bisschen beunruhigt. Sobald sie das Condé betreten würde, wüsste ich, das ist sie.
    Doktor Vala hat sich zum Tresen umgewandt, und unsere Blicke kreuzten einander. Er hat mir freundlich zugewinkt. Plötzlich bekam ich Lust, an seinen Tisch zu gehen und zu sagen, ich hätte ihm eine vertrauliche Frage zu stellen. Ich hätte ihn beiseite gezogen und ihm die Automatenbilder gezeigt: »Kennen Sie die?« Wirklich, es hätte mir sehr genützt, von einem der Gäste des Condé etwas mehr über dieses Mädchen zu erfahren.
    Als ich die Adresse ihres Hotels herausbekommen hatte, war ich sofort hingegangen. Ich hatte mich für die flaue Nachmittagszeit entschieden. Mit ziemlicher Sicherheit war sie da nicht im Haus. Zumindest hoffte ich es. Auf diese Weise könnte ich an der Rezeption ein paar Fragen über sie stellen. Es war ein sonniger Herbsttag, und ich hatte beschlossen, mich zu Fuß auf den Weg zu machen. Ich war an den Quais losmarschiert und wollte langsam ins Landesinnere vordringen. Auf der Rue du Cherche-Midi blendete mich die Sonne. Ich ging in den Chien qui fume und bestellte mir einen Cognac. Ich war unruhig. Hinter der Glasfront sitzend, beobachtete ich die Avenue du Maine. Ich musste nur auf die linke Straßenseite wechseln, und schon wäre ich am Ziel. Kein Anlass zur Unruhe. Je länger ich der Avenue folgte, desto gelassener wurde ich. Ich war mir fast sicher, dass sie nicht im Haus sein würde, und außerdem wollte ich diesmal noch nicht ins Hotel gehen und Fragen stellen. Ich würde mich draußen herumtreiben, wie bei verdeckten Ermittlungen. Ich hatte alle Zeit der Welt. Ich wurde ja dafür bezahlt.
    Als ich in die Rue Cels kam, beschloss ich, mir Gewissheit zu verschaffen. Eine ruhige, graue Straße, die mich nicht an ein Dorf erinnerte oder eine Banlieue, sondern an jene geheimnisvollen Zonen, die man »Hinterland« nennt. Ich bin schnurstracks auf die Hotelrezeption zugesteuert. Niemand. Ich habe etwa zehn Minuten gewartet in der Hoffnung, sie werde nicht plötzlich erscheinen. Eine Tür ging auf, eine Frau mit kurzem brünetten Haar, ganz in Schwarz, trat hinter das Rezeptionspult. Ich sagte mit liebenswürdiger Stimme:
    »Ich komme wegen Jacqueline Delanque.«
    Ich dachte, sie habe sich bestimmt unter ihrem Mädchennamen hier eingetragen.
    Sie lächelte und nahm einen Umschlag aus einem der Postfächer hinter ihr.
    »Sind Sie Monsieur Roland?«
    Wer war dieser Mensch? Auf gut Glück nickte ich kurz. Sie reichte mir den Umschlag, auf dem in blauer Tinte geschrieben stand: Für Roland . Der Umschlag war nicht zugeklebt. Auf einem großen Blatt Papier las ich:
    Roland, bitte komm ab 5 ins Condé. Oder ruf an unter AUTEUIL 15–28 und hinterlass mir eine Nachricht.
    Unterschrieben war mit Louki. Die Koseform von Jacqueline?
    Ich faltete das Blatt wieder zusammen, steckte es in den Umschlag und reichte ihn der Brünetten.
    »Entschuldigen Sie … Da muss eine Verwechslung vorliegen … Das ist nicht für mich.«
    Sie hat nicht einmal mit der Wimper gezuckt und den Brief gleichgültig zurück ins Postfach gelegt.
    »Wohnt Jacqueline Delanque schon lange hier?«
    Sie zögerte kurz, dann antwortete sie in freundlichem Ton:
    »Seit ungefähr einem Monat.«
    »Allein?«
    »Ja.«
    Ich spürte, dass sie gleichgültig war und bereit, auf alle Fragen zu antworten. Aus ihrem Blick sprach großer Überdruss.
    »Ich danke Ihnen«, sagte ich.
    »Gern geschehen.«
    Ich wollte nicht länger bleiben. Dieser Roland konnte von einer Minute auf die andere hier erscheinen. Ich bin zurück zur Avenue du Maine und diese in umgekehrter Richtung hochgelaufen. Im Chien qui fume habe ich einen weiteren Cognac bestellt. Und dann im Adressbuch nach dem Condé gesucht. Es lag im Odéon-Viertel. Vier Uhr nachmittags, ich hatte noch ein bisschen Zeit. Also habe ich AUTEUIL 15–28 angerufen. Eine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher