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Im Café der verlorenen Jugend - Modiano, P: Im Café der verlorenen Jugend

Im Café der verlorenen Jugend - Modiano, P: Im Café der verlorenen Jugend

Titel: Im Café der verlorenen Jugend - Modiano, P: Im Café der verlorenen Jugend
Autoren: Patrick Modiano
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Fragen stellen über diesen Kunstbuchverleger. Vala hatte sich gewundert. »Ach, er hat Ihnen gesagt, er sei Kunstbuchverleger?« Er kannte ihn nur oberflächlich, war ihm in der Rue Saint-Benoît begegnet, in La Malène und der Bar des Montana, wo er sogar Quatre-cent-vingt-et-un mit ihm gespielt hatte. Der Typ trieb sich schon lange hier im Viertel herum. Sein Name? Caisley. Vala schien es ein wenig unangenehm, über ihn zu sprechen. Und als Bowing von seinem Heft erzählt hatte und von den blauen Strichen unter dem Vornamen Louki, war im Blick des Doktors Unruhe aufgeflackert. Nur ganz kurz. Dann hatte er gelächelt. »Wahrscheinlich interessiert er sich für die Kleine … Sie ist niedlich … Was für eine komische Idee aber auch, Ihr Heft mit all diesen Namen vollzuschreiben … Sie amüsieren mich, Sie und Ihre Gruppe und Ihre pataphysischen Experimente …« Er brachte alles durcheinander, die Pataphysik, den Lettrismus, die Écriture automatique, die Metagraphien und all die Experimente, denen die literarischsten Gäste des Condé wie Bowing, Jean-Michel, Fred, Babilée, Larronde oder Adamov sich widmeten. »Außerdem ist es gefährlich, so etwas zu machen«, hatte Doktor Vala mit ernster Stimme hinzugefügt. »Ihr Heft, das ist ja wie ein Polizeiregister oder die Kladde auf einem Revier. Als wären wir alle bei einer Razzia geschnappt worden …«
    Bowing hatte protestiert und ihm seine Theorie der Fixpunkte zu erklären versucht, doch von diesem Tag an hatte der Capitaine das Gefühl, Vala misstraue ihm und gehe ihm sogar aus dem Weg.
    Dieser Caisley hatte nicht nur den Vornamen Louki unterstrichen. Jedesmal, wenn in dem Heft »der Brünette in der Wildlederjacke« vermerkt war, gab es zwei blaue Striche. Das alles hatte Bowing sehr verunsichert, und an den folgenden Tagen war er durch die Rue Saint-Benoît gestreift mit der Hoffnung, in La Malène oder im Montana auf den angeblichen Kunstbuchverleger zu stoßen und ihn zur Rede zu stellen. Er hat ihn nie wiedergesehen. Wenig später musste er selber Frankreich verlassen und übergab mir das Heft, als wollte er, dass ich seine Nachforschungen weiterführe. Doch heute ist es dafür zu spät. Und wenn diese ganze Zeit manchmal in meiner Erinnerung auflebt, dann nur wegen der unbeantworteten Fragen.
    In den flauen Stunden des Tages, wenn ich aus dem Büro komme, und oft in der Einsamkeit der Sonntagabende fällt mir irgendein Detail wieder ein. Mit konzentrierter Aufmerksamkeit versuche ich dann, noch weitere zu sammeln, und schreibe sie am Ende von Bowings Heft auf die weiß gebliebenen Seiten. Auch ich mache mich auf die Suche nach Fixpunkten. Es ist ein Zeitvertreib, so wie andere Kreuzworträtsel lösen oder Patiencen legen. Die Namen und Daten in Bowings Heft helfen mir sehr, von Zeit zu Zeit rufen sie mir irgendeinen Vorfall ins Gedächtnis, einen Nachmittag mit Regen oder mit Sonne. Ich bin immer sehr empfänglich gewesen für Jahreszeiten. Eines Abends ist Louki mit pitschnassem Haar ins Condé gekommen, wegen eines Regenschauers oder auch wegen eines jener endlosen November- oder Vorfrühlingsregen. Madame Chadly stand an diesem Tag hinterm Tresen. Sie ging hinauf in den ersten Stock, in ihre winzig kleine Wohnung, ein Handtuch zu holen. Wie das Heft verrät, saßen an jenem Abend Zacharias, Annet, Don Carlos, Mireille, La Houpa, Fred und Maurice Raphaël am selben Tisch beisammen. Zacharias nahm das Handuch, rubbelte Loukis Haar trocken und wickelte es ihr schließlich zu einem Turban um den Kopf. Sie setzte sich zu ihnen an den Tisch, die anderen gaben ihr einen Grog zu trinken, und sie blieb sehr lange bei ihnen, mit ihrem Turban auf dem Kopf. Als alle gingen, gegen zwei Uhr morgens, regnete es immer noch. Wir standen unter dem Eingang, und Louki trug immer noch ihren Turban. Madame Chadly hatte das Licht im Lokal gelöscht und war zu Bett gegangen. Sie öffnete noch einmal ihr Fenster im Zwischengeschoss und machte uns den Vorschlag, bei ihr unterzuschlüpfen. Doch Maurice Raphaël sagte höchst galant: »Das kommt gar nicht in Frage, Madame … Wir müssen Sie schlafen lassen …« Er war ein gutaussehender Mann, brünett, älter als wir, ein regelmäßiger Gast im Condé, und Zacharias nannte ihn den »Jaguar«, wegen seines Gangs und seiner katzenhaften Bewegungen. Er hatte mehrere Bücher veröffentlicht, wie Adamov und Larronde, doch sprachen wir nie darüber. Ein Geheimnis umwehte diesen Mann, und wir dachten sogar, er habe Beziehungen zur
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