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Im Café der moeglichen Traeume

Im Café der moeglichen Traeume

Titel: Im Café der moeglichen Traeume
Autoren: Paola Calvetti
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Großmutter ein taktischer Fehler, die stets dazu riet, »den Männern nicht hinterherzulaufen, da sie, wenn man sich rarmacht, selbst hinter einem herlaufen müssen«.
    Ich weiß nicht, wer von den Nachbarn den Notarzt angerufen hat und dann auch noch Mama und Papa. Der Krankenwagen kam schnell und fuhr mit eingeschalteter Sirene in den Hof, wo vier Rettungssanitäter meine Großmutter auf eine Trage schnallten. Umgeben von aufgeregten Nachbarn kniete ich neben ihr nieder und sagte: »Großmutter, ganz bestimmt kommst du bald wieder nach Hause.« »Es wird alles gut«, antwortete sie, wie in diesen Fernsehfilmen, wo immer irgendjemand sagt, es werde alles gut, obwohl ringsum Chaos herrscht. Die Rettungssanitäter gehörten zu diesen T ypen, die Kinder um jeden Preis von allem Schrecklichen fernhalten wollen, selbst wenn die Kinder gar nicht im Weg herumstehen, aber obwohl sie sagten: »Alles in Ordnung, Kind«, und sich nach jemandem umschauten, der sich um mich kümmern könnte, war es mir möglich, den Brief an mich zu nehmen. Die bloße Vorstellung, dass man in der Notaufnahme den Brief meiner Großmutter lesen und vielleicht sogar denken könnte, die Dame, die man in einer heroischen Aktion gerettet hatte, habe einen Liebhaber, ärgerte mich gewaltig. Am Nachmittag überbrachte ich ihn persönlich, aber Olga schaute mich vollkommen entsetzt an, als dürfte ein Kind von bestimmten Dingen gar nichts wissen.
    Von der Liebe etwa.
    Meine Großmutter hatte sich den Oberschenkel gebrochen, aber Achtjährige durften das Krankenhaus gar nicht betreten. Aus Solidarität tat mir plötzlich das Bein weh. Ich spürte ihren Schmerz, als wäre mir das Ganze passiert, aber da ich sie nicht besuchen durfte, habe ich meine Großmutter immer als lebendige Person in Erinnerung bei mir und weiß nicht, was der Ausdruck »sich allein auf der Welt fühlen« bedeutet.
    Seit dem Tag des Unfalls holte Papa mich von der Schule ab und begleitete mich nach einem Spaziergang bis in den Hausflur. Das war schon merkwürdig, und ich gab mir alle Mühe, ihn davon zu überzeugen, dass er unbesorgt zur Arbeit zurückkehren könne. Hast du den Schlüssel, Olli? Ja, hatte ich, er hing an einem Band um meinen Hals. Seit ich sechs war, genoss ich eine gewisse Unabhängigkeit, und ich überzeugte ihn davon, dass ich bestens alleine zurechtkam.
    Am sechzehnten Tag meiner Freiheit, am 6. Dezember 1982, schneite es.
    Nachdem ich eine Scheibe Weißbrot mit Marmelade und einen Pfirsichsaft zu mir genommen hatte, sah ich Lady Oscar . Zeichentrickfilme waren eine verbotene Frucht. Meine progressiven Eltern betrachteten sie als pädagogischen Schund, und meine Großmutter, die in einem alten Bakelit-Radio, das sie stets auf denselben seriösen öffentlichen Sender eingestellt hatte, Nachrichten und Lieder hörte, fand das Fernsehen einfach nur »indiskutabel«. Ich hingegen kannte viele Titelmelodien auswendig, und von der zu Lady Oscar gefielen mir vor allem die Worte »der gute Vater wollte einen Sohn, aber ach, geboren wurdest du«. Trotz der Freiheit, die ich genoss, fiel es mir schwer, mich selbst zu beschäftigen, und nicht einmal die Zeichentrickfilme lenkten mich ab. Als ich auf den Beginn einer Folge von La famiglia Bradford wartete (ein Haushalt ohne Großeltern, aber voller Personen wie Vater, Mutter, Stiefmutter und acht Kinder, die ständig Ärger hatten oder irgendwelche Abenteuer erlebten), klingelte das Telefon.
    Ich brauchte ein wenig, um dranzugehen. Unsichtbar und bedrohlich hallte das Klingeln von den Wänden wider.
    Es war Mama.
    Sie ermahnte mich – »Mach deine Hausaufgaben, sei brav, iss etwas, geh in die Badewanne, pack deinen Ranzen« – und beruhigte mich – »Ich komme, so schnell ich kann« –, aber ihre Stimme keuchte und stockte, als würde sie plötzlich stottern.
    Ich schaute ein wenig fern.
    Ich schaute ein wenig auf meine Hände.
    Ich schaute ein wenig aus dem Fenster.
    Als ich schließlich nicht mehr wusste, wie ich meine innere Aufregung in den Griff bekommen sollte, beschloss ich, schlafen zu gehen. Wenn ich nicht weiß, wo mir der Kopf steht, schließe ich die Augen, atme tief durch, stelle mir irgendetwas vor und schlafe so schnell ein, dass ich nicht einmal mehr merke, wie schön es doch ist, so müde zu sein, dass man sich nicht einmal mehr wegen irgendwelcher
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