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Im Bann des Daemons

Im Bann des Daemons

Titel: Im Bann des Daemons
Autoren: Elvira Zeißler
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nicht einmal etwas Milch für Emma?“ Kein Wunder, dass die Kleine so grau und dürr aussah.
    Rudolf schwieg. Es hatte keinen Sinn, das Offensichtliche auszusprechen.
    „Aber es gibt hier doch bestimmt eine Vorratskammer, oder?“
    „Ja, doch die ist stets abgeschlossen. Nur der Meister hat den Schlüssel dazu.“
    „Vielleicht haben wir ja heute Glück und er hat ihn vergessen“, sagte Jill einer Eingebung folgend. „Lass uns doch mal nachschauen.“
    Emma lief hoffnungsvoll los und kam bald darauf atemlos und mit leuchtenden Augen zurück. „Es ist wahr!“, flüsterte sie aufgeregt. „Jill hatte recht, der Schlüssel steckt noch drin!“ Sie lief voran und die Erwachsenen folgten ihr zur Vorratskammer.
    An der Tür zögerte Rudolf. „Es könnte eine Falle sein“, warnte er.
    „Das glaube ich nicht“, widersprach Jill. „Wir sind ihm bereits ausgeliefert, wozu sollte er uns da noch eine Falle stellen.“ Entschlossen öffnete sie die Tür.
    „Wow!“ Begeistert rannte Emma in den großen Raum, der sich dahinter verbarg. „So viel Essen habe ich noch nie gesehen!“
    Auch Jill war beeindruckt. Sie ließ ihren Blick über deckenhohe Regale schweifen, die mit allen möglichen Speisen von Brot, Obst und Braten bis hin zu Torten gefüllt waren. „Wer kocht das alles?“
    „Keine Ahnung“, gab Rudolf ebenso fassungslos zurück. „Außer uns ist hier niemand.“
    „Wie auch immer“, stellte Jill pragmatisch fest. „Bei der Fülle wird es nicht auffallen, wenn wir uns ein wenig nehmen.“ Sie nahm ein frisches Brot vom Regal. Sofort erschien an seiner Stelle ein neues.
    „Das erklärt einiges“, flüsterte Rudolf.
    Sie nahmen noch einen kalten Braten, einen Krug Milch und etwas Obst mit.
    „Da haben wir ja wirklich Glück gehabt“, sagte Jill, als sie zurück in die kleine Kammer kamen.
    „So etwas hat es noch nie gegeben“, erwiderte Rudolf nachdenklich zwischen zwei Bissen, die er äußerst sorgfältig kaute. „Unzählige Male habe ich schon versucht, die Tür zu öffnen, um wenigstens etwas für Emma holen zu können. Und dann kommst du und plötzlich geht alles so einfach.“
    „Es war pures Glück“, winkte Jill ab.
    „Das glaube ich nicht“, widersprach er ihr fest. „Glück existiert hier unten nicht.“
    Plötzlich ging ein Grollen durch die Flure und Rudolf und Emma sprangen sofort auf.
    „Der Meister ruft“, sagte Rudolf, als Jill sich nicht rührte.
    Die junge Frau erbleichte. „Mich auch?“
    „Hast du es etwa nicht gespürt?“, fragte er überrascht.
    „Was denn?“
    „Den Ruf.“
    „Du meinst das Gebrüll?“
    „Nein, ich meine den Ruf, der deiner Seele befiehlt.“
    „Ich glaube nicht“, erwiderte Jill unsicher.
    „Hast du nicht“, stellte Rudolf fest. „Wenn du ihn gehört hättest, wüsstest du es.“ Er zuckte zusammen, als würde jemand an ihm zerren. „Der Meister wird ungeduldig. Wir müssen gehen.“
    „Ich auch?“
    „Nein, du kannst erst noch hierbleiben“, entgegnete der Mann, während er schon durch die Tür lief.
    Jill musste nicht lange warten. Schon bald kehrte Rudolf zurück. „Hier, der Meister hat mir das für dich mitgegeben.“ Er reichte ihr ein zusammengefaltetes Bündel, wobei er es sorgsam vermied, ihr in die Augen zu schauen.
    Jill entfaltete es vorsichtig und hielt vor Empörung und plötzlicher Angst den Atem an. Es war das schamloseste Negligé, das sie jemals gesehen hatte.
    „Der Herr erwartet dich in einer halben Stunde in seinen Gemächern“, berichtete Rudolf tonlos. „Es tut mir leid“, setzte er flüsternd hinzu.
    Jill schluckte. Das war also das Schicksal, das sie in den nächsten Jahrzehnten erwartete – Konkubine eines Monsters zu sein. „Ich kann das nicht“, flüsterte sie erstickt.
    „Vielleicht musst du das auch nicht“, sagte Rudolf langsam und sie blickte ihn gespannt an. „Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit, alles zu durchdenken, aber die haben wir nun mal nicht.“ Er verstummte kurz, dann fuhr er fort. „Du bist anders als wir, Jill. Du hast deinen Willen behalten. Ich weiß zwar nicht wie, aber du hast es geschafft. Und ich glaube, dein Wille ist so stark, dass er diese Geschichte beeinflussen kann, verstehst du?“
    Sie schüttelte unsicher den Kopf.
    „Der Meister hatte den Schlüssel zur Speisekammer nicht einfach vergessen. Wenn ich ohne dich dort nachgeschaut hätte, hätte ich nichts erreicht. Der Schlüssel war da, weil
du wolltest
, dass er da war. Vielleicht kannst du auch dem Ganzen hier
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