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Im Bann der Wüste

Im Bann der Wüste

Titel: Im Bann der Wüste
Autoren: Steven Erikson
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beim Untergang gefunden. Sieht aus, als hätte der Vermummte sie nicht gewollt … zumindest nicht sofort. Ich muss ehrlich zugeben, dass ich nicht begreife, wieso sie überhaupt noch am Leben sind – sie sind so was von durchlöchert und zermatscht …« Er schüttelte den Kopf.
    Auch der Fahrer war mittlerweile abgestiegen und ging jetzt zu Fuß zum Ende der Straße, wobei er sich jeden einzelnen Leichnam genau anschaute, ehe er weiterging.
    Mappo deutete auf den Fahrer. »Ihr sucht wohl nach jemandem.«
    Der Korporal nickte. »Das tun wir, aber die Leichen sind schon in einem Zustand, wo es schwierig ist, noch irgendetwas mit Sicherheit festzustellen. Aber Stürmisch sagt, er wird ihn erkennen, wenn er ihn sieht – wenn er hier ist.«
    Mappo wandte den Blick von dem Korporal ab, schaute den Arenweg entlang. »Wie weit geht das so?«
    »Den ganzen Weg, Trell. Zehntausend Soldaten – vielleicht ein paar mehr oder weniger …«
    »Und ihr habt …«
    »Wir haben sie uns alle angesehen.« Der Korporal kniff die Augen zusammen. »Also gut, Stürmisch schaut sich gerade die Letzten an … was soll’s. Selbst wenn wir nicht nach jemand Bestimmtem gesucht hätten … zuletzt, da …« Er zuckte die Schultern.
    Mappo blickte zur Seite, sein eigenes Gesicht war angespannt. »Du hast etwas namens … Untergang erwähnt. Was ist das?«
    »Der Ort, wo Coltaine und die Siebte Armee vernichtet worden sind. Die Hunde sind die einzigen Überlebenden. Coltaine hat dreißigtausend Flüchtlinge von Hissar nach Aren geführt. Es war völlig unmöglich, aber er hat es tatsächlich geschafft. Er hat diese undankbaren Bastarde gerettet, und zur Belohnung ist er keine fünfhundert Schritt vor den Stadttoren abgeschlachtet worden. Niemand hat ihm geholfen, Trell.« Der Korporal suchte Mappos Blick. »Kannst du dir das vorstellen?«
    »Ich fürchte, ich weiß nicht das Geringste von den Geschehnissen, die du da beschreibst.«
    »Das hab ich schon vermutet. Der Vermummte mag wissen, wo du dich in letzter Zeit versteckt hattest.«
    Mappo nickte. Einen Augenblick später seufzte er. »Ich werde mir eure Hunde mal ansehen, wenn ihr wollt.«
    »In Ordnung, obwohl wir nicht viel Hoffnung haben. Aber der Junge ist ganz hin und weg, wenn du verstehst, was ich meine.«
    Der Trell ging zu dem Wagen und kletterte auf die Ladefläche.
    Er fand den jungen Burschen über eine Masse aus rotem, zerfetztem Fleisch und Knochen gebeugt; er war damit beschäftigt, die Fliegen von dem rohen Fleisch zu verscheuchen.
    »Der Vermummte erbarme sich unser«, flüsterte Mappo, während er das musterte, was einmal ein Hirtenhund gewesen war. »Und wo ist der andere?«
    Der Junge schlug ein Stück Stoff zurück und enthüllte eine Art Schoßhündchen. Alle vier Beine waren vorsätzlich gebrochen worden. Die Knochenbrüche waren vereitert, und die Kreatur zitterte vor Fieber.
    »Der kleine da«, sagte der Junge. »Man hat ihn auf dem großen liegen lassen.« Seine Stimme verriet seinen Schmerz und seine Bestürzung.
    »Keiner von den beiden wird es schaffen, mein Junge«, sagte Mappo. »Der große müsste eigentlich schon längst tot sein – vielleicht ist er es auch – «
    »Nein. Nein, er lebt. Ich kann seinen Herzschlag spüren, aber er wird schwächer. Er wird immer schwächer, und wir können nichts tun. Gesler sagt, wir sollten es ihm einfacher machen, wir sollten seine Qualen beenden, aber vielleicht … vielleicht …«
    Mappo betrachtete den Jungen, wie er sich um die unglücklichen Kreaturen kümmerte, wie seine langfingrigen, fast schon zarten Hände die Wunden mit einem blutverschmierten Stück Stoff abtupften. Nach einem Moment richtete sich der Trell wieder auf; dann drehte er sich langsam um und starrte die Straße entlang. Hinter ihm ertönte ein Schrei, ganz aus der Nähe des Tors, und dann hörte er, wie der Korporal namens Gesler losrannte und zu Stürmisch hinüberlief.
    Ach, Icarium. Schon bald wirst du aufwachen, und ich werde immer noch trauern, und du wirst dich darüber wundern … Meine Trauer fängt bei dir an, mein Freund, beim Verlust deiner Erinnerungen – keine entsetzlichen Erinnerungen, sondern Erinnerungen an Geschenke, die du so freimütig gegeben hast … Zu viele Tote … Wie soll man auf so etwas reagieren? Wie würdest du auf so etwas reagieren, Icarium?
    Er starrte lange den Arenweg entlang. Hinter ihm kauerte der junge Bursche über dem Körper des Hirtenhunds, während sich auf der Straße langsam Schritte näherten. Der
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