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Ihr wahrer Name

Ihr wahrer Name

Titel: Ihr wahrer Name
Autoren: Sara Paretsky
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lassen - und immer wieder bereitest du mir Qualen mit deiner rücksichtslosen Mißachtung deines eigenen Lebens.
    Du murmeltest etwas. Es hörte sich nach einer Entschuldigung an. Ich sah dich immer noch nicht an.
    Und dann tauchte plötzlich dieser merkwürdige Mann in Chicago auf. Dieser gestörte, unansehnliche Mann, der behauptete, ein Radbuka zu sein, obwohl ich doch wußte, daß keiner von ihnen überlebt hatte. Abgesehen von meinem Sohn. Als du mir das erste Mal von diesem Paul erzählt hast, ist mir das Herz stehengeblieben. Ich dachte, vielleicht ist er mein Kind, aufgezogen, wie er behauptete, von einem Einsatzgruppenführer. Doch dann habe ich ihn bei Max gesehen und wußte, daß er zu alt ist, um mein Sohn zu sein.
    Aber irgendwann überkam mich eine noch größere Angst: Daß mein Sohn mit dem Wunsch groß geworden sein könnte, mich zu quälen. Ich denke... ich dachte nicht, ich weiß nicht, was ich dachte... Ich stellte mir vor, vielleicht hatte sich mein Sohn mit diesem Paul verbündet, um mich zu quälen. Also bin ich zu Ciaire geflogen und habe sie aufgefordert, mich zu meinem Kind zu lassen. Als Ciaire mir in jenem Sommer zu Hilfe kam, hatte sie gesagt, sie würde mein Kind privat unterbringen. Aber sie hatte mir nicht verraten, daß sie meinen Sohn Ted Marmaduke geben würde. Ihrer Schwester und ihrem Schwager, die Kinder wollten, aber keine bekommen konnten. Wollen, bekommen, wollen, bekommen. Es ist immer die gleiche Geschichte bei solchen Leuten. Sie bekommen, was sie wollen. Und sie bekamen mein Kind.
    Ciaire schloß mich aus ihrem Leben aus, damit ich nicht mitbekam, wie ihre Schwester und deren Mann mein Kind aufzogen. Sie tat so, als sei der Grund für ihre Distanzierung ihre Mißbilligung darüber, daß ich meiner Ausbildung zur Ärztin so wenig Bedeutung beimaß und schwanger wurde, aber eigentlich ging es darum, daß ich mein Kind nicht sah.
    Es war merkwürdig, mein Treffen mit ihr letzte Woche. Sie war immer mein Vorbild gewesen in allen Dingen, wie man sich benimmt, wie man Dinge richtig macht, egal, ob beim Tee oder bei einer Operation. Sie konnte den Gedanken, nicht mehr mein Vorbild zu sein, nicht ertragen. All die Jahre der Kälte, der Entfremdung hatten einen einzigen Grund - die englische Kardinalsünde der Verlegenheit. Ja, wir haben letzte Woche zusammen gelacht und geweint, so wie es nur alte Frauen können, aber fünfzig Jahre kann man nicht mit einem Tag voller Tränen und Umarmungen vergessen machen.
    Wallace haben Ted und Vanessa mein Baby genannt. Wallace Marmaduke, nach Teds Bruder, der in El-Alamein gefallen ist. Sie haben ihm nie gesagt, daß er adoptiert ist. Und sie haben ihm auch nicht gesagt, daß er jüdische Vorfahren hat. Statt dessen ist er mit jener Verachtung aufgewachsen, die ich mir anhören mußte, wenn ich auf der anderen Seite von Mrs. Tallmadges Gartenmauer kauerte.
    Ciaire zeigte mir ein Fotoalbum, das sie von ihm angelegt hatte und mir hinterlassen wollte, falls sie vor mir starb. Mein Sohn war ein kleines dunkles Kind wie ich, aber auch der Vater von Ciaire und Vanessa war klein und dunkel gewesen. Vielleicht hätte Vanessa ihm die Wahrheit gesagt, aber sie starb, als er siebzehn war. Ciaire schickte mir damals eine Nachricht, eine merkwürdige Nachricht. Eigentlich hätte mir klar sein müssen, daß sie mir damit etwas mitteilen wollte, was sie nicht in Worten ausdrücken konnte. Doch damals war ich zu stolz, um hinter die Fassade zu blicken.
    Und stell dir den Schock vor, als Ted letzten Herbst gestorben ist: Wallace ist Teds Papiere durchgegangen und hat seine Geburtsurkunde gefunden. Mutter: Sofie Radbuka, nicht Vanessa Tallmadge Marmaduke. Vater: unbekannt, nicht Edward Mar-maduke. Was für ein Schock, was für ein Familienaufruhr. Er, Wallace Marmaduke, ein Jude? Er war Gemeindevorsteher, Wahlhelfer der Tories, wie konnte er da Jude sein? Wie hatten seine Eltern ihm das antun können? Er ging zu Ciaire, überzeugt davon, daß das alles nicht stimmte, doch sie wußte, so weit konnte sie die Lüge nicht treiben. Und sie erzählte es ihm. Daraufhin wollte er seine Geburtsurkunde verbrennen, jeden Gedanken an seine eigentliche Identität vernichten, aber seine Tochter... Du hast seine Tochter Pamela kennengelernt? Sie war damals neunzehn und fand dieses dunkle Geheimnis höchst romantisch. Also hat sie die Geburtsurkunde ihres Vaters mitgenommen und die Nachricht unter dem Namen Questing Scorpio ins Internet gestellt, die du gefunden hast. Und als
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