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Ihr wahrer Name

Ihr wahrer Name

Titel: Ihr wahrer Name
Autoren: Sara Paretsky
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hat Lotty ihrer Aussage nach Papiere auf ihrem Schreibtisch hinterlassen; vielleicht verraten die mir etwas. Abgesehen davon kann ich Finch oder Captain Mallory bitten nachzuprüfen, welche Telefonate Lotty geführt hat. Dann wüßten wir, wen sie am Abend ihres Verschwindens angerufen hat. Und da wären noch die Passagierlisten der Fluggesellschaften. Es gibt auch andere Dinge, die ich tun könnte, aber das wird alles dauern. Wollen wir hoffen, daß wir einen Hinweis in ihren eigenen Papieren finden.« Max bestand darauf, daß ich die Nacht bei ihm verbrachte. »Du schläfst ja schon im Stehen ein, Victoria. In dem Zustand solltest du nicht mehr fahren. Wenn du nicht unbedingt zu Hause schlafen willst, kannst du auch im alten Zimmer meiner Tochter übernachten. Ich habe sogar ein sauberes Nachthemd für dich.«
    Es war nicht nur die Sorge um mein Wohlergehen, die ihn dazu trieb, mir dieses Angebot zu machen, sondern auch seine eigene Angst und Einsamkeit, aber für mich war beides gleich wichtig. Ich rief Mr. Contreras an, um ihm mitzuteilen, daß alles in Ordnung sei, und war letztlich doch froh, daß ich nur ins obere Stockwerk gehen mußte, um mich hinlegen zu können, und nicht eine halbe Stunde im Auto verbringen mußte, um nach Hause zu kommen.
    Am Morgen fuhren wir gemeinsam zur Klinik. Wir trafen uns um neun mit Mrs. Coltrain, die genauso gepflegt erschien wie immer, als könnten die Rossys und ihr Mordversuch sie auch nicht stärker erschüttern als kranke Frauen und schreiende Kinder. Fillida hatte ihr den Arm mit dem Lauf der Waffe nicht gebrochen: Mrs. Coltrain hatte eine schwere Prellung, und ihr Arm ruhte in einer Schlinge.
    Allerdings war sie dann doch nicht ganz so ruhig, wie sie wirkte: Nachdem sie uns mit dem Kassettenrecorder an ihren Schreibtisch gesetzt hatte, gestand sie mir: »Wissen Sie, Ms. Warshawksi, ich glaube, ich werde am Montag jemanden herkommen lassen, der die Türen von den Schränken in den Untersuchungszimmern abmontiert. Sonst kann ich nicht mehr ohne die Angst hineingehen, daß sich wieder jemand dahinter versteckt.«
    Genau das hatte Fillida getan: Sie hatte sich im Schrank eines Untersuchungszimmers versteckt, bis sie wußte, daß niemand mehr in der Klinik war, und sich dann auf Mrs. Coltrain an ihrem Schreibtisch gestürzt. Als Fillida gemerkt hatte, daß die Bücher von Hoffman sich nicht auf dem Klinikgelände befanden, hatte sie Mrs. Coltrain gezwungen, mich zu holen.
    Jetzt spielte Mrs. Coltrain Max und mir das Band vor, aber obwohl wir es uns - einschließlich einer halben Stunde knisternder Stille auf der zweiten Seite - bis zum Ende anhörten, erfuhren wir nur, daß Dr. Barber die beiden dringenden Operationsfälle am Dienstag an Lottys Stelle übernehmen und Mrs. Coltrain zusammen mit dem Chefchirurgen einen neuen Terminplan für die anderen ausarbeiten sollte.
    Dann begleitete Mrs. Coltrain uns in Lottys Büro, damit ich mir die Papiere ansehen konnte, die sie auf ihrem Schreibtisch zurückgelassen hatte. Mir wurde flau, als wir den Flur hinuntergingen. Ich erwartete, das Chaos vom Vorabend dort vorzufinden: kaputte Stühle, Blut, umgeworfene Lampen und über allem das Durcheinander, das die Polizei hinterlassen hatte. Aber die zerbrochenen Möbel waren verschwunden, Boden und Schreibtisch gesäubert, und die Papiere lagen ordentlich auf einem Stapel.
    Als ich erfreut ausrief, wie sauber alles sei, sagte Mrs. Coltrain, sie sei schon etwas früher gekommen, um alles in einen präsentablen Zustand zu bringen. »Wenn Dr. Herschel hier auftaucht, wäre sie sicher nicht begeistert über die Unordnung. Außerdem war mir klar, daß ich es selber nicht aushalten würde, die ganze Zeit das Bild von gestern abend vor Augen zu haben. Lucy Choi, das ist unsere Krankenschwester, war schon um acht hier, und dann haben wir uns zusammen an die Arbeit gemacht. Ich habe aber sofort alle Papiere, die Dr. Herschel hiergelassen hat, weggeräumt. Setzen Sie sich, Ms. Warshawski, und schauen Sie sie sich an.« Es war merkwürdig, hinter Lottys Schreibtisch zu sitzen, auf dem Stuhl, von dem aus sie mich so oft begrüßt hatte, manchmal forsch, öfter jedoch mit Mitgefühl, immer aber voller Energie. Ich ging die Unterlagen durch. Ein Brief aus dem Archiv des Holocaust Memorial Museum in Washington von vor sechs Jahren, in dem Dr. Herschel mitgeteilt wurde, bedauerlicherweise ließen sich keine Aufzeichnungen über die Leute finden, die sie suche, Schlomo und Martin Radbuka. Man könne
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