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Igor der Schreckliche

Igor der Schreckliche

Titel: Igor der Schreckliche
Autoren: Papierfresserchens MTM-Verlag GbR
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beiseite und sucht nach ihrem Tagebuch. Nichts. Hat sie es verlegt? Unmöglich! Aber nicht ausgeschlossen.
    Angstlos schlendert sie über den Friedhof, wie sie es Hunderte Male zuvor getan hat. Nun prüft sie jedes Grab. Sie versucht, die Namen der Verstorbenen zu entziffern. Lara ist sich sicher, dass sie das Tagebuch in kein anderes Grab gelegt hat. Wenn sie früher über den Friedhof ging, sponnen ihre Gedanken Geschichten. Die guten Geschichten schrieb sie in ein Heft. Eines Tages will Lara die Geschichten an einen Verlag schicken. Der Titel lautet:
Gruselgeschichten zum Einschlafen. Von Lara Johannson
.
    Ihr Blick schweift zum nächsten Grab. Die Gräber sehen alle gleich verlassen aus. Keine Blumen, keine Pflege. Nicht erst seit kurzer Zeit, sondern seit mindestens hundert Jahren. Auf einem Grabstein glaubt sie, das Jahr 1655 gelesen zu haben.
    Plötzlich bleibt Lara stehen. Am Boden entdeckt sie Fußspuren. Viele Fußspuren. Alle um ein Grab herum. Ihre eigenen sind es nicht. Das sind Abdrücke von Männerschuhen oder großen Jungs. Augenblicklich hat sie die vier Gesichter ihrer Brüder im Kopf. Wollten sie ihr einen Streich spielen? Oder haben sie von Mama den Auftrag bekommen, ihr diese elendige Friedhofsgeherei auszureden?
    Lara bückt sich und studiert die Abdrücke. Es scheint sich dabei nur um ein Paar Schuhe zu handeln. Eine Größe. Ein Muster. Dann wäre es ein Bruder. Nur welcher? Und würden ihre Brüder sie so hintergehen? Lara beantwortet diese Frage mit einem klaren
Nein
. Sie verstehen sich prima. Weil Lara Fußball mag. Und gerne mit ihnen die Spiele schaut. Und alle sechs – Papa mitgezählt – lieben die gleiche Mannschaft.
    Lara steht auf. War die Gestalt doch echt? Ihre Haut prickelt.
    Nach so langer Zeit kommt kein Verwandter oder Bekannter mehr ans Grab. Womöglich ist es ein verrückter Geschichtsprofessor, der sich auf alte, verlassene Friedhöfe spezialisiert hat. Oder ein Autor, der wissen will, wie es sich nachts auf dem Friedhof anfühlt. Möglich. Jedoch erklärt es nicht, warum derjenige um das Grab herumläuft. Und komischerweise enden die Spuren dort, wo sie anfangen. Es ist ein Kreis und die Spuren führen nicht weg. Höchst eigenartig ist das.
    Lara atmet ruhig und spitzt die Ohren. Sie hört die Stille um sich herum. Die Stille, die sie diesen Ort derart lieben lässt. Kein Knacksen, kein Knarren, nur der Wind spielt seine Melodie und lässt ihr Käppi vom Kopf purzeln. Es fliegt davon und Lara rennt ihm hinterher.

KAPITEL 9
Das Mädchen
aus dem Tagebuch
    Seit Igor das erste Mal geflogen ist, kann er nicht mehr genug davon kriegen. In der Schule hatte er ein paar Stunden Unterricht. Falls er mit seinen Eltern irgendwohin muss, ordern sie eine Kutsche. Fliegen ist nicht notwendig. Zumindest nicht in Transsilvanien. Es gilt als schick, sich fahren zu lassen.
    Ein triftiger Grund für das Vernachlässigen der Flugübungen ist die Blutsaugerprüfung. Igors Idee ist einfach und brillant: Solange er schlecht fliegt, macht es keinen Sinn, ihn an der Prüfung teilnehmen zu lassen.
    Das Fliegen hat nun eine andere Bedeutung in seinem Leben. Er muss fliegen können, um mit dem Menschenmädchen in Kontakt treten und sie besuchen zu können!
    Mit diesem motivierenden Gedanken betritt Igor den Unheimlichen Wald und hebt sogleich ab. Er saust durch die Bäume hindurch, rauf, runter, links, rechts und fliegt in eine Lichtung. Dort schlägt er drei Purzelbäume hintereinander. Ein lautes Klatschen erregt Igors Aufmerksamkeit.
    „Onkel Temerar!“, brüllt Igor, setzt zur Landung an und umarmt ihn.
    „Du warst spitze! Ich bin stolz auf dich!“
    Igor spürt eine Wärme in seinem Herzen, wie er sie noch nie wahrgenommen hat. „Stolz? Auf mich? Das hat noch keiner zu mir gesagt.“ Igor kratzt sich verlegen am Kopf. „Gibt es für deinen Flugeifer einen Grund? Die Blutsaugerprüfung ist es wohl kaum“, vermutet Onkel Temerar. Igor zuckt mit den Schultern. „Na komm, mir kannst du es sagen!“
    Igor seufzt. „Ich will zu den Menschen. Na ja, zu einem Menschenmädchen.“
    Verblüfft starrt ihn Onkel Temerar an. „Das ist jetzt nicht wahr!“
    „Doch!“, sagt Igor mit fester Stimme.
    „Igor, glaub mir, ich verstehe dich. Aber das solltest du nicht tun! Es ist zu gefährlich!“
    „Ich muss“, sagt Igor. Seine Stimme klingt nicht mehr kräftig. Onkel Temerars Augenbrauen ziehen sich nach oben. „Weil …“, setzt Igor an. „Weil ich das Tagebuch zurückgeben
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