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Idol

Idol

Titel: Idol
Autoren: R Merle
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Schönheit der Frauen der Familie nicht zu vergleichen war. Gleichwohl erwies
     sie mir jene Hochachtung, die Leute ihres Schlages widerwillig ihren Verwandten einräumen, sofern sie Tugenden besitzen, die
     ihnen selbst abgehen und die zu erwerben sie sich in keiner Weise bemühen.
    »Über diese Heirat? oder über Francesco Peretti?« fragte ich nach einer Weile.
    »Über beides.«
    »Nun, Francesco ist mir sehr sympathisch. Er hat nichts Strahlendes, das stimmt. Aber er ist sanftmütig und feinfühlig, ohne
     daß es ihm an Mut oder Würde gebräche.«
    »Und was sagst du zu der Heirat?« fragte Marcello und sah mich aufmerksam an.
    »Vittoria wird nicht unglücklich sein, denn Francesco wird alles tun, was sie will.«
    »Und Peretti?«
    »Er ist ein zu guter Mensch, um mit einer Accoramboni glücklich werden zu können.«
    |25| Marcello brach in Lachen aus: »Aber du bist doch selbst eine Accoramboni, Giulietta!«
    »Eben. Deshalb weiß ich, wovon ich rede.«
    Hierauf lachte Marcello noch mehr.
    »Pst, pst!« machte Tarquinia. Es klang wie das Zischen von einem Dutzend Schlangen. »Marcello, wie kannst du am Sterbetag
     deines Vaters so ungeniert lachen! Was sollen die Diener denken, wenn sie dich hören?«
    »Sie werden denken, daß ich verrückt bin, und das stimmt ja auch. Alle in diesem Haus sind verrückt. Alle, bis auf Giulietta.
     Mein Vater war eine Memme und zitterte vor seiner Frau. Flamineo ist ein törichter Frömmler. Meine Mutter, eine Medusa …«
    »Und Marcello, ein Zuhälter!« fiel ihm Tarquinia brutal ins Wort.
    Trotz des Gegenlichts sah ich Marcello erbleichen oder glaubte es zu sehen.
    »Signora«, sagte er mit klangloser Stimme, »wenn Ihr ein Mann wäret, hättet Ihr jetzt meinen Stahl zwei Zoll tief in der Kehle!«
    Das war kein Theater mehr, trotz der melodramatischen Sprache, denn Marcello tastete mit zitternder Hand nach dem Griff seines
     Dolches, und ich sah in diesem Augenblick deutlich, daß er sein wütendes Verlangen, ein für allemal mit seiner Mutter Schluß
     zu machen, nur mühsam zurückhielt. Ich warf mich zwischen die beiden, was ich schon mehr als einmal getan hatte, seit ich
     in diese unbeherrschte Familie gekommen war, wo alle Leidenschaften auf die Spitze getrieben wurden.
    Ich stützte mich mit den Handflächen gegen Marcellos Brust. Er zitterte an allen Gliedern unter der Anstrengung, seinen wahnsinnigen
     Zorn zu unterdrücken. Er sah mich nicht. Über meinen Kopf hinweg sah er Tarquinia durchbohrend mit seinen schwarzen Augen
     an.
    »Marcello, ich flehe dich an!« rief ich.
    Er bemerkte mich endlich, kam wieder zu sich, und der Schatten eines Lächelns – dieses Mal wenigstens nicht gespielt – huschte
     über sein Gesicht. Vielleicht entsann er sich, daß ich als Kind schon einmal zwischen ihn und seine Mutter getreten war und
     dabei die für ihn bestimmte Ohrfeige erhalten hatte.
    |26| »Du bist ein gutes Mädchen, Giulietta«, sagte er leise und atemlos, legte mir dabei die Hände auf die Oberarme und stieß mich
     dann, selbst überrascht von dieser Geste, zurück.
    »Da ich sehe, daß ihr beide mit mir einer Meinung seid«, schloß Tarquinia ohne jede Spur von Ironie und wie blind oder unempfindlich
     gegen die Gefahr, der sie soeben entronnen war, »werde ich Vittoria umgehend über meine Pläne im Hinblick auf Peretti informieren.«
    »Umgehend!« rief ich unwillig.
    »Ihr werdet nichts dergleichen tun, Mutter!« schrie Marcello. »Ich werde Euch daran zu hindern wissen. Wenn nötig, stelle
     ich mich vor Vittorias Tür. Ihr werdet sie morgen sehen. Habt jetzt wenigstens so viel Takt, ihr einen Tag und eine Nacht
     für ihre Tränen zu gewähren!«
    Schnellen Schrittes verließ er das Zimmer, und als ich wenige Augenblicke später im oberen Stockwerk zu den Gemächern seiner
     Schwester kam, fand ich ihn in dem kleinen Vorraum, der Caterina Acquaviva manchmal als Schlafzimmer diente.
    Er lag ausgestreckt auf einem
divano-letto
, wo Caterina oft – in Hörweite ihrer Herrin – die Nacht verbrachte und das so klein (obwohl für Caterina groß genug) war,
     daß Marcellos Füße darüber hinausragten. Das Tageslicht flutete durch eine nach Süden gehende Maueröffnung herein und fiel
     auf sein düsteres Gesicht. Als ich eintrat, war er damit beschäftigt, die Sonnenstrahlen auf der nackten Klinge seines Dolches
     einzufangen, ein kleines Spiel, das mir beunruhigend und kindlich zugleich erschien.
    Bei meinem Eintritt kam Caterina aus Vittorias Zimmer,
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