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Ich will endlich fliegen, so einfach ist das - Roman

Ich will endlich fliegen, so einfach ist das - Roman

Titel: Ich will endlich fliegen, so einfach ist das - Roman
Autoren: Beltz & Gelberg
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verstummen, dann setzt die Geige wieder ein, etwas später auch die Stimme.
    Als wir eintreten, sehen wir Line neben Ingela stehen. Line verstummt, als sie uns sieht, worauf Ingela ebenfalls zu spielen aufhört.
    »Hallo!«, ruft sie. »Wisst ihr, was ich entdeckt habe? Line kann singen!«
    »Das hast du nicht entdeckt«, sagt Line trotzig. »Eric konnte den Mund nicht halten.«
    Eric Eskilsson ist unser Musiklehrer. Er ist ziemlich jung, rothaarig und trägt eine kleine Nickelbrille.
    »Ich habe Eric von letztem Montag erzählt, als Leo und ich zusammen gespielt haben«, erklärt Ingela. »Und dabei habe ich erwähnt, dass es toll wäre, wenn es an der Schule jemanden mit einer klaren, hohen Gesangsstimme gäbe für dieses wunderbare norwegische Volkslied, das ich gerade entdeckt habe. Da hat Eric gesagt, dass Line in der Mittelstufe in seinem Chor gesungen und eine super Stimme hat.«
    »Quatsch«, murmelt Line.
    »Widersprich nicht!«, sagt Ingela. »Sing lieber. Lass uns noch mal von vorne anfangen.«
    Line wirft einen zögernden Blick auf Silja und mich. »Wollt ihr zuhören?«
    »Wenn wir dürfen«, sage ich.
    Line zieht die Schultern hoch und schaut in ihre Noten auf dem Notenständer. Silja und ich wechseln einen kurzen Blick und setzen uns dann ganz leise in die zweitletzte Reihe. Ingela spielt das Stück, das wir schon letztes Mal gehört haben, und Line setzt etwas verzögert ein. Das klingt richtig schön, altmodisch, nach grüner, weicher Almwiese, Almhütten und blauen Berghängen. Die Musik erinnert mich an eine Ziegenkäsewerbung.
    Silja hat sich zurückgelehnt und starrt mit leerem Blick vor sich hin, wahrscheinlich denkt sie an Emil. Ich bin wohl kaum die Richtige, ihr zu sagen, dass sie sich dummerweise in den Falschen verliebt hat. Darum beschließe ich, gar nichts zu sagen und einfach nur die Daumen zu drücken, dass es schnell überstanden ist.
    Ingela und Line scheinen uns schnell vergessen zu haben, jedenfalls probiert Line entspannt ein paar Sachen aus und sie diskutieren über unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten. Line hat eine kräftige, klare Stimme. Wer hätte das geahnt? Ingela bringt es immer wieder fertig, Line zum Lachen zu bringen. Ich beobachte fasziniert ihr Gesicht, wenn sie lacht. Das sonst immer nur verschlossene und ablehnende Gesicht öffnet sich und sieht richtig glücklich aus. Line hat ein ziemlich breites Gesicht mit Stupsnase und fransigem Pony, das dann viel weicher und gleich nicht mehr so farblos wirkt. Mit ihren rosigen Wangen sieht sie richtig süß aus.
    Vielleicht brechen jetzt ja neue Zeiten für Line an. Vielleicht habe ich mich ja geirrt. Vielleicht ist das Unmögliche plötzlich möglich. Vielleicht ist nichts so kaputt, dass man es nicht wieder kitten könnte. Möglicherweise wird es nicht mehr so, wie es ursprünglich einmal war, aber wenigstens zu etwas anderem.
    Ich muss an Anton denken und an Siljas Mutter, die auch einen emotionalen Scherbenhaufen hinterlassen haben. Wahrscheinlich kann man nicht verlangen oder auch nur hoffen, dass die Dinge danach wieder so werden, wie sie einmal waren, denn das wäre, als hätte es die beiden nie gegeben, als wäre es egal, ob sie jemals existiert haben, als hätten sie keine Spuren in unserem Leben hinterlassen.
    Ich drehe den Kopf zur Seite und sehe Silja an. Sie ist eine ganz klare Spur, die Ariadne hinterlassen hat. Ohne Ariadne keine Silja. Nach Anton gibt es solche greifbaren Spuren nicht. Seine Spuren sind unsere Zerrissenheit, unsere Erinnerungen und unsere Trauer. Papa hat gesagt, dass Antons Verlust uns vielleicht gelehrt hat, mehr Wertschätzung füreinander zu empfinden. Ich bin mir nicht sicher, ob er recht hat. Noch nicht. Aber vielleicht wird es irgendwann mal so sein, wenn wir nach vorne schauen, weitermachen, nicht mehr einstürzen, sondern anfangen, wieder aufzubauen.
    Die Mittagspause ist im Flug vorbei. Ingela verstaut ihre Geige und sagt, dass wir losmüssen. Da fällt mir ein, worum Sven mich gebeten hat.
    »Wir sollten dich übrigens fragen, ob du nicht Lust hast, mal zu einer Probe von Leos Band zu kommen. Er würde gern ein Stück mit dir ausprobieren, das sie in der Band spielen wollen, glaube ich.«
    Ingela verzieht den Mund.
    »Rockmusik ist nicht so mein Ding«, sagt sie. »Aber ich kann es ja mal ausprobieren.«
    Sie sieht Line an. »Vielleicht brauchen die ja eine Vokalistin!«
    Line reißt die Augen auf und schaut von Ingela zu mir zu Silja.
    »Ihr seid doch alle verrückt!«,
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