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Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch

Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch

Titel: Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch
Autoren: Arena
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mehr ein. Wir warten alle nur darauf, dass ich abgeholt werde.
    Um halb vier taucht dann Herr Rabe wieder auf. Mein Herz hämmert bis in meinen Kopf. »Er hat ausgesagt und so weit alles zugegeben. Sie werden beim nächsten Termin befragt«, fasst Herr Rabe kurz zusammen und deutet uns an, dass wir nun aufbrechen sollten. Ich fühle mich wie erschlagen. Die ganze Anspannung – völlig umsonst. Beim nächsten Termin. Ich hatte so gehofft, es heute hinter mich zu bringen. Jetzt liegt es also wieder vor mir. Ich fühle mich elend. Aufgekratzt und gleichzeitig total frustriert komme ich zu Hause an. Heute bin ich sogar zu schlapp, um in den Stall zu fahren. Ich setze mich an meinen Computer.
    »Heute war der erste Tag. Es war einfach nur komisch, aufwühlend und anstrengend. Obwohl ich noch überhaupt nicht ausgesagt habe. Ich saß die ganze Zeit im Warteraum und wusste nicht, ob ich noch aufgerufen werde oder nicht. Es klingt vielleicht lächerlich, aber ich habe das als total schlimm empfunden. Zum einen wusste ich nicht, was gerade vor sich geht, was er sagt, ob alle denken, dass ich Schuld habe? Dass er sich ins gute Licht redet oder was auch immer … Frage mich die ganze Zeit, ob man das nicht ganz klar regeln kann??? Das Argument wäre wahrscheinlich, dass man es eben nicht planen kann und Leerlauf teuer ist. Hauptsache, nicht an die Opfer denken …
    Wie oft wurde mir versprochen, dass ich keinen sehen muss, den ich nicht sehen möchte – außer im Gerichtssaal. Und was war? Gleich heute Morgen sehe ich meine Mutter. Natürlich als Häufchen Elend. Verdammt, meint man denn, mir tut das nicht weh? Fühle mich so wahnsinnig schuldig. Hätte ich nichts gesagt, vielleicht wäre sie dann glücklicher. Vielleicht steht sie ja drauf, von ihm so behandelt zu werden. Obwohl es schwer vorstellbar ist. Ich weiß noch nicht mal, ob ich einfach nur traurig bin oder doch auch sauer. Eigentlich müsste sie doch froh darüber sein, dass es nun vorbei ist. Irgendwie dachte ich immer, die Natur hätte es so eingerichtet, dass die Mütter ihre Kinder automatisch lieben. Dass ich nicht lache! Einen Scheißdreck hat sie!«
    Eintrag in ein Missbrauchs-Forum, 2. Mai 2012, 21:23 Uhr
    Zwei Tage bis zum nächsten Termin. Einerseits bin ich froh, dass es so bald ist – ich will es endlich hinter mir haben. Auf der anderen Seite graut es mir schon jetzt davor, noch einmal dieses Gebäude zu betreten. Albtraum! Am liebsten würde ich davonlaufen.
    Offenbar scheint mein Anwalt mir das sogar zuzutrauen. Er ruft mich am folgenden Tag an – um mich aufzubauen. Das hat er vorher noch nie getan! »Ihr Stiefvater hat sich absolut unglaubwürdig verhalten. Machen Sie sich keine Gedanken!«, lässt er mich wissen.
    Und ich denke: Machen Sie sich keine Gedanken? Fast lustig, der Satz! Wie sollte ich mir denn keine Gedanken machen? Als er merkt, dass ich auf seine vermeintlichen Aufmunterungen nicht reagiere, beendet er das Telefonat: »Bis morgen!« Und auch das klingt mehr nach Anweisung als nach Verabschiedung.
    Erstaunlicherweise schlafe ich in dieser Nacht mehr als vor dem ersten Verhandlungstag. Dabei fühle ich mich viel schlechter. Denn da ist der eine Gedanke, der mich seit dem Aufstehen fertigmacht: Was ist, wenn die Schöffen mir nicht glauben? Was, wenn sie denken, ich sei selbst schuld? Weil ich ihn animiert habe? Oder weil ich mich nicht gewehrt habe? Immer und immer wieder stürzen diese Fragen auf mich ein.
    Bis ich wieder im Gericht sitze und darauf warte, befragt zu werden, bin ich mir schon sicher, dass alle auf SEINER Seite sein werden. Warum sollte mir jemand glauben?
    Dann öffnet eine fremde Frau die Tür und bittet mich, ihr zum Verhandlungssaal zu folgen. Es ist ein schwerer Gang. Furchtbar schwer. Ich bekomme kaum Luft. Zum ersten Mal wehre ich mich gegen meinen Stiefvater. Zum ersten Mal bin ich für ihn nicht angreifbar – egal, was ich sage oder mache. Und trotzdem spüre ich seine Macht. Er schüchtert mich ein, macht mir Angst. Ich nehme mir vor, in seine Richtung zu schauen, Stärke zu zeigen.
    Mein Blick fällt sofort auf ihn, sobald sich die Tür öffnet. Er sitzt ganz lässig da, so, als wäre er mit Kumpels im Biergarten oder so. Schon alleine diese Haltung verletzt mich. Dabei schaut er mich direkt an. Ich meine, ein Lächeln in seinem Gesicht zu erkennen. Ein hämisches Lächeln. Und ich bin mir in diesem Moment ganz sicher: Reue spürt er nicht. Er würde es immer wieder tun.
    Die Richterin bittet mich,
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