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Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch

Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch

Titel: Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch
Autoren: Arena
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betrunken zu Hause aufgefunden. Kann einfach nicht verstehen, wieso das alles so ist. Komme damit im Moment schlecht zurecht. Und mittlerweile denke ich ernsthaft daran, irgendwie wegzugehen. So wahnsinnig viel hält mich hier nicht mehr.«
    SMS an Kerry vom 8. März 2012, 14:05 Uhr
    Nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus fühle ich mich ganz leer. Wie betäubt. Was soll ich noch in diesem Leben? Wozu? Ich hasse mich. Ich will nicht zum Prozess. Ich will, dass diese Erinnerungen verschwinden und meine Gefühle nicht mehr so schmerzen. Aber irgendwie fehlt mir selbst dafür die Kraft, dem allem ein Ende zu setzen. Ich habe für gar nichts mehr Kraft und funktioniere nur noch auf Sparflamme. Gedimmt. Was für ein Scheißleben! Und es geht immer weiter – dem Prozess entgegen. Fünf Verhandlungstage sind angesetzt. Der erste am 2. Mai 2012. Da soll zuerst mein Stiefvater aussagen und dann ich. In mir explodiert die Angst vor diesem Tag. Ich versuche, meine schlimmen Gedanken im Forum loszuwerden.
    »Der Termin rückt nahe. Mir ist so ungut bei dem Gedanken daran. Noch nicht mal, ihm gegenüberzustehen, das ist gar nicht das Schlimmste. Auch schlimm, aber nicht das, wovor ich am meisten Angst habe. Denke immer und immer wieder daran, was denn danach ist. Toll, dann ist es vorbei. Und dann? Was hab ich denn davon? Die Gedanken fressen mich gerade auf. Werde aussagen, wenn er dabei ist. Er soll nicht sehen, was er mit mir gemacht hat. Verdammt. Ich hasse ihn so sehr. Die Jahre.Was er mit mir gemacht hat. Wie soll das je wieder›gut‹gemacht werden? Ich würde so gerne sagen, es ist o. k. Aber das ist es einfach nicht. Es ist Scheiße. Denke immer wieder daran, lieber nicht leben zu wollen. Warum auch? Dreckig, benutzt, unfähig, zu nichts imstande. Schlafen? Wäre Luxus. Immer diese Träume. Es ist zum Kotzen. Und ich weiß, ich stelle mich an. Mann, es ist vorbei! Aber ich kann es einfach nicht so sehen. Ich hasse ihn und noch mehr mich. Dass ich das zugelassen hab.«
    Eintrag in ein Missbrauchs-Forum, 26. April 2012, 21:30 Uhr

8. Verhandlung
    »Ein Freispruch des Täters kann für das Opfer zerstörerisch wirken. Dagegen kann eine Verurteilung bei entwickeltem Bewusstsein des Opfers eine Heilung in Gang setzen. Wichtig ist auf jeden Fall eine engmaschige Betreuung des Opfers.«
    Veit Schiemann, Pressesprecher Weißer Ring e. V.
    »Ich möchte schreien.
Doch es kommt nichts heraus.
Möchte einfach durchdrehen.
Mich nicht mehr spüren.
Aber doch leben.
Aber was ist Leben?
Wie geht Leben?
Leben.
Was für ein komisches Wort.
Nach dem Leben streben.
Oder doch lieber nach dem Ende rennen?
Ich kann es nicht ordnen.
Die Welt dreht sich munter.
Und mich?
Mich lässt sie nicht runter.
Ich kann es nicht verstehen.
Ich möchte schreien.
Und frei sein.
Einfach nur frei.«
    Gedicht vom 9. Mai 2012
    E s ist so weit. Der erste Prozesstag. Verunsichert und nervös stehe ich im Flur der Anwaltskanzlei. Neben mir die Dame vom Weißen Ring. Immer wieder nickt sie mir aufmunternd zu. Zu reden fällt ihr nichts ein. Ich merke, dass sie ebenfalls aufgeregt ist. Aber ihre Aufregung ist noch nichts gegen die von Herrn Rabe. Wie ein aufgescheuchtes Huhn läuft er durch die Kanzlei und sucht seine Unterlagen zusammen. Als wir dann endlich in seinem Auto sitzen, stellt er fest, dass er etwas vergessen hat. Zurück ins Büro. Kaum ist er wieder bei uns, fällt ihm ein, dass er die Bürotür nicht abgeschlossen hat. Wieder raus aus dem Auto und im Stechschritt zum Büro. Seine Unruhe macht mich fertig! Und die »Weiße-Ring-Omi« lächelt nur. Und nickt. Ich bin froh, als wir uns endlich in Bewegung setzen. Nun will ich das Ganze auch hinter mich bringen!
    Vor dem Gerichtsgebäude steht Kerry. Was für eine Überraschung! Zwar hatte ich immer gesagt, dass ich sie nicht dabeihaben wolle, aber als ich sie jetzt sehe, freue ich mich.
    »Ich kann dich doch nicht alleine lassen.« Sie lächelt unsicher. »Oder soll ich gehen?«
    »Nein«, wehre ich ab und drücke ihre Hand. Ich freue mich wirklich, dass sie hier ist.
    Das Gebäude wirkt riesig. Breite leere Gänge, in denen die Schritte besonders laut hallen. Ich fühle mich wie eine Maus. Klitzeklein. Unbedeutend. »Wir suchen uns jetzt mal den Aufenthaltsraum«, verkündet Herr Rabe. Auf ihn hat das Gebäude anscheinend den genau gegensätzlichen Effekt. Er wirkt plötzlich groß und stark und aufrecht. Ich bin nun froh, ihn an meiner Seite zu haben. Auch Kerry schaut ihn
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