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Ich war nur kurz bei Paul

Ich war nur kurz bei Paul

Titel: Ich war nur kurz bei Paul
Autoren: Herfried Loose
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müssen, wenn sie wegen des Fortzuges weinen musste. Sie litt anscheinend unter der Trennung von seinem Vater. Ihm selbst machte der Umzug eigentlich nur deswegen etwas aus, weil er nun seine Freunde und den Fußballclub verlassen musste. Seinen Vater hasste er. Hatte der sich etwa jemals um ihn richtig gekümmert? Nein! Er hatte immer nur seine Arbeit und sein Tennis-Spielen im Kopf gehabt. Ralf hatte seine Kumpels um deren Väter beneidet, die mit ihnen zusammen Fußball spielten, Kanufahrten machten oder andere Abenteuer gemeinsam bestanden.
       Sein Vater hatte mit ihm nie etwas Gemeinsames unternommen. Aber scheißegal, nun war er ihn los. Sollte er doch mit seiner Schnecke, dieser Barbara, zur Hölle fahren. Ihm tat nur seine Mutter leid, hatte sie doch immer alle Arbeit allein gehabt und wenig Unterstützung von seinem Erzeuger erfahren. Er verstand gar nicht, warum sie nicht auch froh war, ihn endlich los zu sein.
       Ralf stellte einen Kaffeebecher und einen Frühstücks-Teller mit dem Brötchen hin. Für sich machte er ein Glas Instant-Kakao zurecht und legte eine der Rumkugeln, die bei diesem Bäcker so unübertrefflich gut schmeckten, bereit. Endlich hörte er seine Mutter im Flur mit einer Nachbarin ein paar Worte wechseln, dann drehte sich auch schon ihr Schlüssel im Schloss.
       »Hi, Ralfi! Na, schon fertig?«
       »Hallo Mutti, na klar! Kaffee ist auch schon fertig. Komm in die Küche!«
       »Du bist lieb, danke Schatz! Mit dem Wetter haben wir Glück, oder? Strandsachen schon gepackt?«
       »Da steht schon alles. Du brauchst nur noch dein Brötchen zu essen, dann können wir meinetwegen los.«
       »Ich hatte heute Glück in der Klinik, denn meine Ablösung war schon ein bisschen früher da, und es gab auch nicht viel beim Schichtwechsel zu besprechen. Bin ich nicht pünktlich? Guck mal auf die Uhr! Viertel vor drei, da können wir um halb vier bereits am Strand sein, vorausgesetzt, wir bekommen einen Parkplatz.« Während seine Mutter erzählte, sah Ralf ihr beim Essen zu. Seiner Rumkugel hatte er schon vorher nicht widerstehen können, und so war er, als sie die Tür aufschloss, schon fertig. Als sie ebenfalls zu Ende gegessen hatte, kramten sie noch ihren Badeanzug, die Handtücher und eine große Wolldecke hervor und verstauten alles in ihrem Twingo.
       »Meinst du, wir benötigen die Strandmuschel?«
       »Nö, ist doch gar kein Wind.«
       »Na, meistens ist es am Wasser viel frischer als hier in der Stadt. Aber ich weiß auch nicht, ob man die Muschel am Travemünder Strand aufbauen darf. Da können wir uns ja heute mal erkundigen.«
     
    Die Fahrt ging nur langsam voran, weil um diese Zeit der Berufsverkehr schon in vollem Gange war. Die Strecke kam Ralf endlos vor. Diesen dichten Straßenverkehr waren sie beide nicht gewohnt. Als sie endlich am Wasser waren, atmeten sie auf. Eine ruhige, tiefblaue See lag vor ihnen. Die Fahnen an den Masten hingen schlaff herunter. Es war schwül.
       Sie suchten sich einen Platz, und innerhalb kürzester Zeit war Ralf bereits im Wasser. Seine Mutter konnte er dazu nicht überreden - ihr waren siebzehn Grad einfach zu kalt, sie zog es ohnehin vor, sich in der Sonne zu aalen. Viele Leute waren nicht im Wasser, aber das war Ralf egal. Er war bereits mit Taucherbrille und Schnorchel beschäftigt. Eine Zeitlang beobachtete ihn seine Mutter dabei, dann lehnte sie sich zurück und genoss die wohlige Wärme der Sonne.
       Ralf war fasziniert. Er war ein guter Schwimmer, hatte er doch schon sein Silbernes Schwimmabzeichen, das er selbst auf seine Bermudashorts genäht hatte. In der Nähe war ein anderer Junge, ungefähr gleichen Alters, mit einer Luftmatratze beschäftigt. Wiederholt hatte der andere schon Blickkontakt zu ihm aufgenommen und ihn angelächelt. Unauffällig näherte er sich ihm nun. »Ganz schön kalt, was?«
       »Naja, macht mir nichts aus!« 
       »Mir eigentlich auch nicht, ich meinte nur. Wollen wir mal tauschen? Du kriegst meine Luftmatratze und ich für einen Augenblick deine Tauchermaske?« Ralf blickte auf, zögerte nur kurz.
       »Na gut, hier!« Sie tauschten und Ralf zog sich auf die frei gewordene Luftmatratze. Selig schloss er die Augen und genoss die dümpelnden Bewegungen seiner schwimmenden Unterlage.
       Wasser war sein Element! Das war auch beim Kanufahren immer Klasse. Der andere Junge umkreiste ihn mit dem Gesicht unter Wasser. Prustend tauchte er nun neben ihm auf. »Hast du die vielen
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