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Ich war nur kurz bei Paul

Ich war nur kurz bei Paul

Titel: Ich war nur kurz bei Paul
Autoren: Herfried Loose
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Das freundliche Gesicht sah ihn fragend an und hielt einen erkalteten Zigarrenstummel fragend hoch.
       »Nö, stört mich nicht.« Ein Streichholz flammte auf, und das nun folgende, mehrmalige Schmatzen beim Anrauchen verursachte ein Geräusch, als würde ein alter Karpfen nach Luft schnappen. Die Zigarrenspitze glühte hellrot auf. Zufrieden lehnte sich Karls Chef zurück. »Ich bin übrigens Paul. Paul Schmitt, um genau zu sein. Aber die Förmlichkeiten, denke ich, können wir uns sparen. Ich habe so ein Gefühl, als würden wir uns künftig öfter über den Weg laufen, also kannste mich ruhig Paul nennen!« Ralf antwortete nicht, sondern sog den aromatischen Rauch der Zigarre ein. Roch gut, irgendwie ganz anders als die Zigaretten, die er mit seinen Kumpels vom Dorf schon geraucht hatte. Er hatte bisher noch keinen Menschen kennen gelernt, der Zigarre rauchte. Das erschien ihm sonderbar altmodisch. Er hatte so etwas in alten Filmen gesehen. »Sehr gesprächig biste nicht, was?«, holte ihn die Stimme des alten Mannes aus seinen Gedanken.
       »Weiß nicht, was ich sagen soll.«
       »Na, du könntest ja mal erzählen, was dich hierher verschlagen hat. Wie gesagt, ich habe dich hier noch nie gesehen.«
       »Wir sind auch gerade erst hergezogen - vor zwei Wochen.«
       »So, so! Und von wo kommt ihr her, aus welcher Stadt meine ich?«
       »Silberstedt, das ist ein Dorf in der Nähe von Lauenburg.«
       »Aha! Und, bist du gefragt worden, ob du hierher ziehen wolltest?«
       »Naja, es ging eben nicht anders. Ich konnte meine Mutter ja schlecht allein lassen, wo die sich doch hier noch gar nicht auskennt.«
       »Oha, da hängt also die ganze Verantwortung für deine Mutter an dir, was?«
       »Hm!« Der Rauch der Zigarre füllte nun das ganze Häuschen aus, als würde der Regen den Unterstand wie eine gläserne Wand zur Straße hin begrenzen. Paul schwieg. Der Verkehr war durch eine Ampelschaltung für einen kurzen Moment zum Erliegen gekommen und nur das schnelle Hecheln von Karl dem Großen klang überdeutlich durch die Stille. Erst jetzt bemerkte Ralf, dass der Regen aufgehört hatte - wie abgedreht. Paul zertrat den Zigarrenstumpen und an der Stelle war jetzt ein schwarzer Schmauchfleck auf dem Betonboden zu sehen. »So, Karlchen, komm, wir müssen!« Karl war blitzartig auf den Beinen und trat erwartungsfroh neben das Fahrrad. »Hat uns gefreut, deine Bekanntschaft zu machen, Ralf. Wir sehen uns, und pass' gut auf dich und deine Mutter auf!«
       Schon war der Spuk vorbei und die beiden verschwunden. Fast war Ralf darüber ein wenig traurig; hatte ihn doch die kurze Zeit, die sie hier gemeinsam miteinander gesessen hatten, ein wenig aus seiner Einsamkeit und von seinem traurigen Grübeln befreit. Gedankenverloren strich er mit den Fingern über die geflochtenen Freundschaftsbänder an seinem Handgelenk, die er niemals ablegte - auch nicht beim Duschen.
       Er konnte nicht ewig hier sitzen bleiben. Vielleicht war es kein schlechter Gedanke, noch schnell zum Imbiss am Ende der Straße zu gehen. Sein Magen signalisierte ihm Hunger. Gefrühstückt hatte er natürlich nicht, weil der Bäcker mittags geschlossen hatte. Auf Brot hatte er sowieso keinen Bock. Das war das einzig Gute an einer Stadt: Da gab es an jeder Ecke etwas zu kaufen, ganz im Gegensatz zu dem Dorf, aus welchem er stammte. Ein Döner wäre jetzt gerade das Richtige! Der Gedanke verlieh ihm neue Energie und so setzte er sich, die Trockenphase nutzend, in Bewegung.
                        
     
 

Kapitel 2
 
       »Ralfi, ich bin da!« Er hatte sie nicht aufschließen hören und fuhr zusammen. Gebannt hatte er eine Gerichtssendung im Fernsehen verfolgt. Seine Mutter steckte den Kopf zur Tür herein. »Na, Schatz, was hast du gemacht? Mach doch mal den blöden Fernseher aus und komm mit in die Küche!« Gehorsam machte er den Flimmerkasten aus und folgte seufzend seiner Mutter. 
       »Hast du's so schwer gehabt, heute?« Seine Mutter sah ihn liebevoll beim Auspacken der Lebensmittel an. Ralf nahm den anderen Leinenbeutel und half ihr.
       »Nö, war stinklangweilig. Ich kenne ja niemanden.«
       »Das kommt schon noch. Spätestens, wenn du ab Montag in die neue Schule kommst, wirst du wieder Leute kennen lernen. Nimm mich: Ich habe in den drei Tagen auf der neuen Arbeit schon einen Haufen Menschen kennen gelernt. Für Morgen habe ich sogar schon eine Einladung zu einer Grillparty bekommen. Es soll ja
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