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Ich war Hitlerjunge Salomon

Ich war Hitlerjunge Salomon

Titel: Ich war Hitlerjunge Salomon
Autoren: Sally Perel
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in ihren Worten mit.
    Ich spürte auch, daß ihre Wiedersehensfreude nicht ganz echt
    war. Mittlerweile hatte sich Thea zu uns gesellt. Sie reagierte
    noch verhaltener.
    Ich beschloß, nicht zu bleiben. Es war eindeutig, daß die
    »braunen Jahre« an den beiden Schwestern ihre Spuren hin-
    terlassen hatten. Diese enttäuschende Begegnung konnte mir
    meine Laune jedoch nicht verderben und meine Freude nicht
    trüben. Ich verließ die Schwestern Meiners.
    – Dreißig Jahre später sah ich sie wieder, um die Geschich-
    te mit meinem dreisten Besuch in ihrer Gaststätte zu Ende
    zu erzählen. Ich dachte, sie fänden es schade, daß sie den
    verkleideten Sally nicht erkannt hatten. Aber ich stieß eher
    auf Unverständnis. Eine ehemalige Nachbarin, eine sehr alte
    Dame, schlug mir vor, bei ihr zu wohnen. Ich hatte sie beim
    Verlassen der Gaststätte getroffen und mich wieder daran
    erinnert, daß wir sie als Kinder einst »die böse Alte mit dem
    Stock« genannt hatten. Ich nahm ihr großzügiges Angebot
    gerne an. Ich fühlte mich in dem mir zur Verfügung gestellten,
    sehr gepflegten Zimmer wohl. Durch viel Schlaf erholte ich
    mich ein wenig. Ich nahm mir vor, am nächsten Tag nach
    Bergen-Belsen zu fahren. Nach der Sintflut.
    Am nächsten Morgen erwachte ich, glücklich darüber, einen
    neuen Tag zu beginnen. Ich frühstückte mit der reizenden
    alten Dame und ging aus dem Haus.
    Am Bahnhof kaufte ich eine Fahrkarte nach Celle, der
    Stadt, die Bergen-Belsen am nächsten lag. Die Reise war kurz,
    in weniger als einer Stunde war ich am Ziel. Schon von wei-
    tem sah ich das Lager, ein Fremdkörper in seiner Umgebung,
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    ein schreiender Widerspruch zu der umliegenden Landschaft.
    Die grünen Felder und blumengeschmückten Bauernhäuser
    schufen eine friedliche Atmosphäre. Hatte ich mich verlau-
    fen? Befand sich in einer solchen Umgebung, die das Abbild
    des Reichtums der Schöpfung war, ein Todeslager? Als ich
    näherkam, zweifelte ich nicht mehr.
    Ich entdeckte eine riesige braune Sandfläche, auf der die
    hintereinander gereihten Baracken standen. Eine Staubwolke
    lag über allem. Viele Menschen liefen herum, Krankenwagen
    und Militärfahrzeuge der englischen Armee fuhren aus und
    ein. Ich ließ mich von der Menge mittragen. Die befreiten
    Gefangenen hatten einen harten Ausdruck. Nicht ein Funken
    Freude lag in diesen Gesichtern nach all dem, was sie erlitten
    hatten. Ich hörte Traktorenlärm. Mir wurde erklärt, daß die
    zahllosen Massengräber, die sich hier befanden, zugeschüttet
    und eingeebnet würden.
    Plötzlich erhob sich aus der fremden Menschenmenge ein
    Schrei. Jemand rief auf polnisch meinen Namen: »Salek, Salek!«
    Überrascht blickte ich mich um. Vor mir standen die beiden
    Brüder Zawatzki. Sie waren ungefähr in meinem Alter, und
    ihre Erscheinung war relativ gepflegt gegenüber den anderen.
    Ich war der erste Bekannte, den sie nach der Befreiung tra-
    fen. Sie zeigten große Freude. Wir hatten viele gemeinsame
    Kindheitserinnerungen. Ich ging gerne darauf ein, als sie mich
    drängten, mit ihnen einige Tage im befreiten Bergen-Belsen
    zu verbringen. Untergehakt wandten wir uns ihrer Baracke
    zu. Sie boten mir eine Pritsche an, die durch den Tod eines
    Mannes am Vortag freigeworden war.
    Während der drei Tage, die ich in Bergen-Belsen verbrachte,
    lauschte ich den Erzählungen und nahm entsetzliche Bilder in
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    mich auf. Ich verglich unablässig ihr bitteres Schicksal mit dem,
    was ich durchgemacht hatte, und ich begriff, wie sehr mich
    das Leben in dieser schrecklichen Zeit verschont hatte. Jetzt
    hatten wir ein gemeinsames Schicksal. Ich schloß mich den
    Überlebenden an, wir befanden uns alle in einem luftleeren
    Raum – ohne Heimat, Vater und Mutter. Wir wußten nicht,
    ob diese ungewisse Lage bald einer sicheren und dauerhafteren
    weichen würde. Wir alle brauchten ein solides Fundament,
    um von der Vergangenheit zu genesen.
    Ich verließ meine Bergen-Belsener »Gastgeber« und kehrte
    mit dem festen Vorsatz nach Peine zurück, weiterhin Nach-
    forschungen über das Schicksal meiner Familienmitglieder
    anzustellen. Ich wußte, daß ich dazu in andere Lager fahren
    mußte. Nach meiner Rückkehr erhielt ich dank ehemaliger
    Freundinnen meiner Schwester weitere Nachrichten und einige
    Photographien von ihr.
    Die Neuigkeit, daß eines der jüdischen Perel-Kinder wohl-
    behalten nach Peine zurückgekommen war, machte schnell
    die Runde. Mehrere Leute luden mich ein, sie zu
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