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Ich war Hitlerjunge Salomon

Ich war Hitlerjunge Salomon

Titel: Ich war Hitlerjunge Salomon
Autoren: Sally Perel
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Schwester Bertha.
    Mira und sie Waren vor der Auflösung des Ghettos Wilna in
    das Frauen-KZ Stutthof bei Danzig gekommen, Isaak wurde
    in das KZ Dachau gebracht. Als 1944 die russische Front
    näherrückte, sollte das KZ Stutthof nach Ravensbrück verlegt
    werden, und es begann der später so genannte Todesmarsch.
    Es herrschte bitterer Frost. Bertha erfroren die Füße, Mira
    versuchte sie mit letzter Kraft zu stützen – ein verzweifelter
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    und vergeblicher Rettungsversuch. Bertha konnte nicht mehr
    weitermarschieren. Sie bekam einen Genickschuß. Mira sah
    noch, wie aus ihrem offenstehenden Mund das Blut in den
    weißen Schnee am Wegrand floß. Oh Gott, wie schlimm, das
    aufs gleichgültige Papier zu bringen …
    Später dann fuhr uns der Dienstwagen in die Villa der
    Litschmans. Maria Antonowna Litschman gab einen dem
    Ereignis würdigen Empfang. Flaschen alten wunderbaren
    Weines wurden aus dem Keller geholt und eine nach der an-
    deren geleert. Wir feierten das Überleben des Restes unserer
    Familie …
    Stundenlang sprachen wir von der Vergangenheit und der
    Gegenwart. Isaak informierte uns über den bewaffneten Kampf
    in Palästina, der gegen die Engländer und für die ungehinderte
    Einwanderung geführt wurde. Diese Neuigkeiten sol ten große
    Bedeutung für mich erlangen. Ich hatte noch nicht darauf
    geachtet, aber jetzt spürte ich, daß etwas in mir zu wachsen
    begann, das dann so schnell zur Blüte kommen sollte. Hier
    dachte ich das erste Mal an Palästina.
    Mira war hochschwanger, und so mußten sie nach Mün-
    chen zurückkehren. Wir verabschiedeten uns und beschlossen,
    uns bald wiederzusehen. Einige Tage später erhielt ich eine
    Karte, die mir mitteilte, daß Mira ihrer Tochter Naomi das
    Leben geschenkt hatte.
    Im Sommer 1947 war ich an einem Scheideweg angelangt.
    Eines Tages wurde ich in das sowjetische Hauptquartier in
    Berlin-Karlshorst beordert. Ein Zivilbeamter empfing mich
    äußerst höflich. Weil ich mir als Dolmetscher einen guten
    Ruf erworben hatte, schlug er mir vor, in eine Kaderschule in
    der Sowjetunion einzutreten. Er stellte mir in Aussicht, nach
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    dem Ende meiner Studien eine aktive Rolle im Dienst der
    sowjetischen Besatzungsbehörde zu spielen. Mir war unbe-
    haglich zumute: noch ein Spezialinternat! Dabei war ich mir
    bewußt, daß ich dort nicht auf eine doppelte Identität und
    auf falsche Namen zurückgreifen mußte. Dennoch konnte
    ich mich über solche Aussichten nicht freuen. Ich versprach,
    die Sache zu bedenken, das Für und Wider abzuwägen und
    baldmöglichst Antwort zu geben.
    Ich kehrte in meine Unterkunft zurück und schloß mich
    ein. Ich hatte zwei Möglichkeiten, entweder ein paar Jahre
    in der Sowjetunion zu verbringen, um mich auf ein Leben
    vorzubereiten, dessen Ausgang ungewiß, aber das doch ver-
    heißungsvoll war, oder mich meinen überlebenden Brüdern
    anzuschließen, um mich dem Aufbau und der Entwicklung
    eines eigenen Staates zu widmen, in dem ich zu Hause wäre,
    nämlich Palästina.
    Die Würfel fielen rasch. Die zweite Möglichkeit verdrängte
    die andere. Keine Verlockung und keine Macht konnten vor
    meiner Sehnsucht nach Familie und nach einem eigenen Land
    ein Hindernis errichten.
    Plötzlich brannte mir der Boden unter den Füßen. Ich
    beschloß, sofort aufzubrechen. Den Chauffeur von Major
    Litschman unterrichtete ich von meinen Plänen.
    Ich benötigte zwei Tage, um verschiedene persönliche Dinge
    zu regeln, und am letzten Abend versammelten wir uns zum
    Abschied. Wir waren alle traurig.
    Alfred, der Chauffeur, holte mich am späten Abend ab. Wir
    fuhren Richtung Grenze, und er zeigte mir einen Schleichweg
    in den Westen. Im Zug kam ich auf dem zerstörten und vor
    Menschen wimmelnden Münchner Bahnhof an. Ich nahm
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    ein Taxi zur Vorstadt Neu-Freimann, die mitten im Grünen
    lag und voller Blumengärten war. Mit Herzklopfen klingelte
    ich an der Tür im Sternweg 18.
    Mein Bruder öffnete und war überrascht. Bewegt und
    glücklich umarmten wir uns. Ich umarmte lange seine Frau
    Mira und näherte mich wortlos der Wiege. Das hübsche lä-
    chelnde Gesichtchen Naomis und ihre blonden Locken habe
    ich nie wieder vergessen.
    Nachdem ich mich sattgesehen hatte, beantwortete ich
    die ängstlichen Fragen meines Bruders und meiner Schwä-
    gerin. Meine einfache Erklärung beruhigte sie. Es war das
    erste Mal, seitdem ich meine Eltern verlassen hatte, daß ich
    mich wieder in einer Familie zu Hause fühlte. Die seelische
    Spannung
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