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Ich war Hitlerjunge Salomon

Ich war Hitlerjunge Salomon

Titel: Ich war Hitlerjunge Salomon
Autoren: Sally Perel
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Schicksal
    der Jüdischen Gemeinde von Peine nachzugehen. Mittlerweile
    hatten wir vom dramatischen Ende des Sekretärs der örtli-
    chen Kommunistischen Partei, des Genossen Kratz, erfahren.
    Er wurde mit Hunderten von Juden und anderen deutschen
    KZ-Häftlingen wenige Tage vor Kriegsende auf einem alten
    Schiff zusammengepfercht. Das Schiff wurde versenkt, die
    Menschen ertränkt.
    Als ich gerade gehen wol te und versprach, an der nächsten
    Versammlung teilzunehmen, betraten zwei Juden den Raum,
    die in ihr Heimatland Rumänien zurückkehren wollten. Ich
    war glücklich, sie zu sehen. Sie hatten Bergen-Belsen überlebt.
    Aus ihrem Munde hörte ich zum ersten Mal diesen Namen
    und erfuhr von dem Furchtbaren, das dort geschehen war. Sie
    sagten mir, daß sich das Lager in der Nähe von Cel e befände,
    und ich beschloß, dort nach Familienangehörigen zu suchen.
    Ich wünschte meinen befreiten Glaubensbrüdern al es Gute
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    für ihre Rückkehr ins Leben und verabschiedete mich von
    allen in bester Stimmung.
    Prächtig gekleidet und mit Paketen beladen, machte ich
    mich auf den Weg. Meine schwarze Uniform warf ich in die
    erste Mülltonne, die ich sah. Sie hatte ihre Funktion erfüllt.
    Ich trauerte nicht um sie. Aber hatte mein Doppelleben wirk-
    lich ein Ende?
    Glückstrunken ging ich durch die altvertrauten Straßen von
    Peine. Vor nicht allzulanger Zeit war ich über dieses Pflaster
    gewandert, ich hatte mich hinter meiner Schirmmütze versteckt
    und den Kopf weggedreht, um nicht erkannt zu werden. Jetzt
    bot ich mich stolz und glücklich den Blicken aller dar. Salo-
    mon Perel lebte. Trotz allem und trotz der Entschlossenheit
    der Nazis, mich zu vernichten! Ich ging wie auf Wolken. Wie
    wohl tat es, nach mehreren Kriegswintern den ersten Friedens-
    frühling zu riechen! Der Duft der Maiglöckchen erfüllte die
    Luft. Die Stadt war nicht bombardiert worden, und wären
    nicht die unermüdlich hin- und herbrausenden Militärfahr-
    zeuge gewesen, hätte man sich nicht vorstellen können, daß
    diese Bevölkerung einen sechsjährigen Krieg erlebt hatte, der
    der blutrünstigste und mörderischste aller Zeiten war.
    Ich ging bei den Meiners’ vorbei. Das Nazi-Emblem über der
    Tür war verschwunden. Ich betrat die Gaststätte. Es herrschte
    eine spürbar andere Atmosphäre, doch der Bier- und Tabak-
    geruch war derselbe.
    Ich setzte mich an denselben Tisch wie schon einmal, be-
    obachtete Thea und Clara und hörte den Unterhaltungen zu.
    Einer der Gäste sagte, daß er die zahlreichen Opfer und den
    schrecklichen Preis, den Deutschland bezahlt habe, beklage,
    und daß seiner Meinung nach der größte Kriegsverbrecher
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    keineswegs Hitler, sondern Churchill heiße, weil der sich ge-
    weigert habe, zusammen mit den Deutschen die Russen zu
    bekämpfen.
    Ich beschloß, mich nicht einzumischen und mich von sol-
    chen Erklärungen nicht irritieren zu lassen. Mich beschäftig-
    ten andere Gedanken in der Gaststätte Meiners. Ich weilte
    in früheren Zeiten. Meine Kindheit, heiße Sommertage und
    meine damaligen Phantasien waren mir eingefallen. Die Be-
    stialität, die der nationalsozialistische Rassenwahn verkörperte,
    hatte diese Träume zerstört. Ich kämpfte mit mir, um mich
    nicht demoralisieren zu lassen. Ich schaute wieder Thea und
    Clara an, die schon junge Frauen waren. Sie arbeiteten rasch
    und präzise. Daran war nichts Erstaunliches. Bier wird im-
    mer getrunken; manchmal, um etwas Freudiges zu begießen,
    manchmal, um einen Schmerz zu lindern. Auch jetzt waren
    die meisten Tische besetzt.
    Ich bahnte mir einen Weg zu dem blitzenden Zapfhahn,
    und als sich Clara näherte, um ein Glas zu füllen, grüßte ich
    sie. Sie antwortete aus reiner Höflichkeit. Sie schaute mich
    und dann den weißen Schaum an, der sich setzte. Sie erkannte
    mich nicht.
    Ich sprach sie an. »Ich bin es, Sally, ich bin nach Peine
    zurückgekommen.« Überrascht hörte sie auf, Bier zu zapfen,
    kam zu mir nach vorne und drückte mir herzlich die Hand.
    »Stimmt, du bist Sally. Zehn Jahre haben wir uns nicht ge-
    sehen.« Sie lächelte über das ganze Gesicht. »Nicht ganz«,
    antwortete ich, »vor kurzem hast du mir hier ein Bier serviert.«
    Sie begriff nicht, und ich versprach, es ihr später zu erklären.
    Sie erzählte mir, daß ihre Eltern im letzten Jahr gestorben
    seien und ihr Bruder Hans in ein Kriegsgefangenenlager nach
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    England gebracht worden sei. Er war Offizier der Waffen-SS
    gewesen. Ein Anflug von Stolz schwang
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