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Ich war Hitlerjunge Salomon

Ich war Hitlerjunge Salomon

Titel: Ich war Hitlerjunge Salomon
Autoren: Sally Perel
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    einige dachten, ich sei David, andere, daß ich Isaak sei, aber sie
    empfingen mich liebenswürdig. Die Mehrzahl dieser Einladun-
    gen schlug ich aus. Ich ging nur zu den Familien, die Photos
    meiner Eltern besaßen, Photos, die ich heute noch verwahre.
    Aus reiner Neugier folgte ich al erdings der Einladung zu einer
    spiritistischen Sitzung, bei der ich durch die Kontaktaufnahme
    mit dem Geist der Toten, so wurde es jedenfalls versprochen,
    über den Verbleib meiner Familie Aufschluß erhalten sollte.
    Am vereinbarten Ort und zur bestimmten Stunde setz-
    te ich mich, gespannt wie ein Flitzbogen, auf meinen Platz.
    Ich war zuvor noch nie mit den Geheimwissenschaften in
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    Berührung gekommen. Ich betrat das Haus in dem Gefühl,
    an einem geheimnisvollen Zauber teilzunehmen, und begriff,
    daß der Abend eigens für mich veranstaltet wurde. Außer
    demjenigen, der »die Geister anrief«, befanden sich noch acht
    fremde Personen im Raum. Die doppelten Vorhänge wurden
    zurückgezogen, und es wurde duster. Auf dem runden Tisch
    lagen Briefe, Zahlen und verschiedene Karten, in der Mitte
    stand ein umgestülptes Glas. Wir setzten uns um den Tisch
    herum und faßten uns über dem Glas an den Händen.
    Es herrschte gespanntes Schweigen. Lange Minuten verstri-
    chen, aber niemand sagte ein Wort. Plötzlich gab das Medi-
    um ein undeutliches Gestammel von sich. Ich bekam Angst,
    konzentrierte meine Gedanken auf meine Familienmitglieder.
    Da geschah etwas Überraschendes: Das Glas erzitterte, bebte
    und bewegte sich. Genauso ist es gewesen. Ich hätte es nicht
    geglaubt, hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen. Das
    Glas glitt in verschiedene Richtungen, hob sich leicht, als
    überspränge es Hindernisse, und forschte weiter nach dem
    Geheimnis der Seelen. Ich verfolgte aufmerksam das sich be-
    wegende Glas. Ich schwitzte. Als das Glas still blieb, senkten
    wir die Arme, und einer der Teilnehmer zog die Vorhänge
    auf. Das Abendlicht drang in den Raum. Niemand sagte
    ein Wort, auch das Medium nicht, das sehr erschöpft wirkte.
    Nach einer Weile wandte sich das Medium an mich und
    sagte: »Eines deiner Familienmitglieder, das dir sehr nahesteht
    und dessen Name mit dem Buchstaben D beginnt, ist am
    Leben und befindet sich sehr weit von hier, wahrscheinlich auf
    einem anderen Kontinent.« Sofort dachte ich: »David, mein
    Bruder, lebt. Ist das möglich?« Ich war in Aufruhr, nahm
    die Nachricht aber mit großer Freude auf. Ich wünschte von
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    ganzem Herzen, sie möge wahr sein. Nach der Sitzung plau-
    derte ich mit den Teilnehmern, die alle aus Peine stammten.
    Sie teilten mir mit, daß die Jüdin Frau Friedenthal in ihrem
    Haus in der Stadt überlebt habe, das sie nicht verlassen hatte.
    Ihre Tochter Lotte, ein ungewöhnlich schönes Mädchen, hatte
    man der Rassenschande bezichtigt und hingerichtet …
    Glücklich verließ ich diese Leute und dankte ihnen herzlich,
    mich zu solch einer bewegenden Begegnung eingeladen zu
    haben. Wäre es nicht ein rechter Feiertag für mich gewesen,
    hätte sich die Weissagung, daß mein Bruder David lebte, als
    wahr herausgestellt?
    Am nächsten Morgen suchte ich Frau Friedenthal auf, die
    so überraschenderweise überlebt hatte. Die alte Dame freute
    sich, mich zu sehen. Sie schien bei guter Gesundheit und
    von erstaunlicher Geistesschärfe. Wieviel Mut und Seelengrö-
    ße mußte sie gehabt haben! Über zwölf Jahre hatte sie den
    Bannfluch und die Todesdrohungen ertragen, aber hatte an
    ihrem Platz ausgehalten wie ein unerschütterlicher Felsen im
    tobenden Meer.
    Sie schlug mir vor, bei ihr zu wohnen, aber ich erklärte
    ihr, daß ich die Absicht hätte, Peine zu verlassen und durch
    die Konzentrationslager zu fahren, um meine Familie wie-
    derzufinden. Ich wünschte ihr auch weiterhin Mut und gute
    Gesundheit und versprach, wiederzukommen. Frau Friedenthal
    ist nach Hannover in ein Altersheim umgezogen und starb
    1978 in hohem Alter.
    Auf einer meiner Fahrten traf ich zufällig einmal zwei
    sowjetische Offiziere, die zu einer Delegation aus der sowjeti-
    schen Besatzungszone gehörten. Ich freute mich und begrüß-
    te sie in ihrer Muttersprache. Ich stellte mich als jüdischer
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    Flüchtling vor und bat um ihre Meinung und ihre Hilfe zur
    Erlangung einer Durchreisegenehmigung durch Lodz und
    Auschwitz. Sie versprachen mir ihre Unterstützung und ba-
    ten mich, ihnen einstweilen als Dolmetscher zu dienen. Sie
    spürten SS-Schergen auf und verhafteten sie. Es war
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