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Ich war der Märchenprinz

Ich war der Märchenprinz

Titel: Ich war der Märchenprinz
Autoren: Arne Piewitz
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leben. Und außer mir muß es niemand. Auch M. nicht. Ich zwinge sie nicht.
    Sie versucht, mich zu zwingen. Ich weiß nicht, wozu, ich weiß nicht, wohin, aber sie übt Zwang aus. Druck. Sie hat etwas Forderndes an sich, sie will irgendwas, ohne präzise zu sagen, was. Sie hat Ansprüche an mich, aber welche? Vielleicht hat sie irgendwelche Vorstellungen wie »ihr« Mann sein soll, nein, anders: sie hat vage Vorstellungen, wie »ihr« Mann nicht sein darf, und genau den Typ soll ich nicht liefern. Ich muß vorsichtig sein mit dem, was ich sage, wie ich mich benehme... Sonst bringe ich mich schneller, als ich es will, um ein erhebliches Vergnügen... Ich glaube, sie belauert mich. Ich fühle mich oft von ihr beobachtet. Frau Doktor hat ein klinisches Interesse: ein in seiner Schwere außerordentlich interessanter Fall. Es ist klar — sie hat gewisse Erfahrungen mit Männern gemacht, und jetzt hockt sie da und lauert darauf, daß ich ihre gesammelten Vorurteile bestätige. Eine Spinne. Eine Vogelspinne. Sie spinnt.

    Ich habe einen schweren Fehler gemacht. Ich habe gesagt: »Komm doch vorbei.« Linke Frau, 24, hatte einen Lyrik-Termin, glaube ich, und Folklore-Tanz, und da wird nicht gegrinst oder gefeixt, diese Arroganz kann man sich als unmännlicher Mann nicht leisten. Auch nicht, wenn einem zufällig einfällt, daß es sich genauso gut um einen Folklore-Termin und einen Lyrik-Tanz handeln könnte. Jedenfalls, sie hatte irgendeinen revolutionären Termin in Rissen, und weil ihr Weg sie zwangsläufig durch Altona führen mußte, habe ich gesagt: »Komm doch vorbei.«
    Keine zwei Sekunden später habe ich mich über diese Aufforderung geärgert. Ich bin noch lange nicht so rational kontrolliert, wie ich das gern wäre.
    Ich gehe zum U-Bahnhof, sie abholen. Wieso eigentlich? Damit sie den etwas komplizierten Weg in meinen Hinterhof leichter findet. Wirklich? Will ich wirklich, daß sie den Weg leichter findet? Und wenn ja: warum will ich das?
    Ist es mir im tiefsten Inneren nicht scheißegal, ob sie den Weg leichter oder schwerer findet? Ist es mir nicht sogar scheißegal, ob sie ihn überhaupt findet? Würde es mir wirklich was ausmachen, wenn sie ihn nicht fände? Würde mir etwa etwas fehlen, wenn es M. nicht gäbe?
    Ich weiß, daß mir zum Beispiel nichts fehlen würde, wenn es Neumünster nicht gäbe. Oder Itzehoe. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß es überhaupt irgendwo einen Menschen gibt, dem Neumünster oder Itzehoe fehlen würden, wenn es sie nicht gäbe. Wer sollte diese Nester ernsthaft vermissen?
    Hat M. für mich etwa denselben Stellenwert wie Neumünster? Arne, hiermit erteile ich dir einen Ordnungsruf! So etwas zu denken, ist verboten. Schäm’ Dich!
    Ich weiß: selbst, wenn ich jetzt sage, M. hat natürlich einen ganz anderen Stellenwert als Neumünster für mich, also, das kann man doch echt nicht vergleichen — das glaubt mir doch keiner mehr. Ich ziehe für mindestens zwei Minuten zweifelnde Blicke auf mich. Aber es ist wirklich so: M. ist mit Neumünster überhaupt nicht zu vergleichen, ich finde, M. ist echt irgendwie äh — äh — äh — ja, was denn nun? Na ja, anders eben. Nicht nur anders als Neumünster, auch anders als andere. Andere Frauen, meine ich.

    Kann sein, daß mir doch was fehlen würde, wenn sie den Weg in meinen Hinterhof nicht fände. Wirklich, kann sein.
    Ich gehe also zum U-Bahnhof, um sie abzuholen und ihr den Weg zu zeigen.
    Klar ist: sie muß es nicht sein. Wenn sie es nicht wäre, wär’s eine andere. Der Platz, den ich für sogenannte Beziehungen reserviert habe, ist äußerst knapp bemessen. Den auszufüllen braucht's kein besonderes Format, keine imposante Statur. Ich bin auch nicht auf einen bestimmten Typ fixiert, eher variabel. Ob klein und blond oder lang und schwarz — das kratzt mich wenig.
    Zu sagen, die ist es nun und keine andere — so weit würde ich bei M. echt nicht gehen. Sie ist austauschbar. Jedenfalls für mich, und das in jeder Hinsicht. Aber nicht gegen jede x-beliebige andere, natürlich nicht. Also, man muß schon irgendwie in seiner Szene bleiben.
    Das 17-jährige Rechtsanwaltstöchterchen aus Volksdorf, ein Jahr vor dem Abitur, in den Fiorucchi-Klamotten, die den Bundespressesprecher, der bei ihnen zu Hause verkehrt, irrsinnig klug findet, Tennis spielt, auf ihre Figur achtet, Urlaub macht im Mediterranean-Club, Adenauer für einen großen Staatsmann hält, Kontaktlinsen trägt und mit Gummimütze duscht — nein danke.
    Auch die
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