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Ich vergebe dir - Bucciarelli, E: Ich vergebe dir - Io ti perdono

Ich vergebe dir - Bucciarelli, E: Ich vergebe dir - Io ti perdono

Titel: Ich vergebe dir - Bucciarelli, E: Ich vergebe dir - Io ti perdono
Autoren: Elisabetta Bucciarelli
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bereits seit über dreißig Jahren hier lebte, blieb er doch immer nur der Fremde . Hinter dem Altar, während der drei sonntäglichen Messen, hatte er eine Funktion, doch außerhalb der Kirchenmauern war er ein Mensch wie jeder andere. Ein entwurzelter Mensch, der niemals von sich sprach und abgeschieden von den Dorfbewohnern in einem kleinen Haus lebte.
    »Ich fühle mich hier wie im Exil«, hatte er ihr vor Jahren während einer Unterhaltung gestanden. Eine Art Zwangswohnsitz. Lebendig begraben zwischen Häusern und Steinen und eingeschlossen von den höchsten Gipfeln Italiens. Sechs Monate Frost, die restliche Zeit Kälte. Kein Mensch wusste, warum er hierhergekommen war. Die Kurie hatte kein Wort durchsickern lassen, und das Gerede war ihm nicht gefolgt. Ebenso wie niemand seiner ehemaligen Gemeindemitglieder, denn keiner hatte ihn jemals hier besucht.
    Ein einsamer Mann , hieß es im Dorf. Das einzige, was man mit Sicherheit wusste, war, dass er vom Meer kam. Nicht aus dem Süden, da er ohne starken Akzent sprach. Als Kind hatte Maria Dolores diesen touristischen Ort ertragen müssen. Damit sich die Ferienwohnung, die vom Gehalt zweier Angestellter getragen werden musste, auch auszahlte, kamen sie jedes Wochenende hierher. Ob bei Kälte oder Schnee. Bei Regen oder Nebel. Das ganze Jahr.

5
    Kaum tauchte die arabisch anmutende Kuppel des weißen Kirchturms vor ihr auf, verspürte sie einen kühlen Hauch, einen kurzen Luftzug. Doch sie hob nicht einmal den Kopf. Sie kannte die Tücken des Windes an diesem Ort, wusste, dass sich in den Luftschneisen zwischen den Häusern und Steinen kleine Wirbel bildeten. Maria Dolores stieg weiter hinauf, unbeirrt setzte sie den einen Fuß vor den anderen, ihre Knöchel von festen Bergschuhen geschützt. Den Kopf frei, das Gehirn vollgepumpt mit Sauerstoff und angesteckt von der Stille, die sie umgab, strahlte sie eine unübersehbare innere Gelassenheit aus. Sie war auf dem Weg zu dem Priester, ohne sich vorher angekündigt zu haben. Er hatte sie gebeten zu kommen, egal zu welcher Stunde. Er gehörte nicht zu den Menschen, die einen Terminplan besaßen. Bereitschaftsdienst , würde er dazu sagen. Allzeit bereit.
    Ein Hund mit hellem Fell und dem Körper eines Mischlings lief vor ihr über den Weg: ein Labrador mit dem Kopf eines Border Collies. Aus dieser Kreuzung war ein Hirtenhund entstanden, der sich mit seinen enormen Pfoten in die Erde und die feuchten, abschüssigen Weiden hineingraben konnte. Hinter ihm tauchten gleich noch zwei derselben Rasse auf, etwas kleiner als er. Ein ganzes Rudel. Seit einigen Monaten streunten sie bereits herrenlos um die Häuser, immer auf der Suche nach Knochen zum Abnagen, einem achtlos weggeworfenen Müllsack oder einem gefüllten und für einen kurzen Moment unbeobachteten Hundenapf.
    Maria Dolores war in eine blaue Daunenjacke gehüllt und duftete nach Maiglöckchen. Sie hatte ein heißes Bad genommen, um die schneidende Kälte besser ertragen zu können. Sie gehörte zu den wenigen, die bewusst noch richtige Wanderkleidung trug: Kniebundhosen aus Cord, die Uniform des kleinen Wanderers, dazu den Eispickel und den Rucksack auf den Rücken geschnallt. Sie mochte es, für einen Moment in die Vergangenheit zurückzukehren, sich der Illusion hinzugeben, die Welt sei in Ordnung. So fühlte sie sich im Einklang mit der Natur, doch vor allem nicht viel älter als das zwanzigjährige Mädchen, das sie einst gewesen war. Äußerlich und innerlich.

6
    Er hatte sie zu Hause erreicht. Zögerlich gefragt, ob sie tatsächlich jene Maria Dolores sei, die er von früher kannte. Die er hatte aufwachsen sehen. Aus der Ferne. Er bat sie, ihn so bald wie möglich zu besuchen. Sie wollte wissen, warum, doch der Priester entgegnete, er müsse sie erst treffen, ihr in die Augen schauen, bevor er sprechen könne. Schließlich hatte er sie ohne Umschweife gebeten, sich noch heute auf den Weg zu machen, und das brave Mädchen in ihr hatte gefolgt. Jetzt, wo sie ihm gegenübersaß, konnte sie keinen Grund für diese Überstürzung erkennen. Allerdings empfand sie auch nicht wirklich Unbehagen bei dem Gedanken, Mailand so Hals über Kopf verlassen zu haben und die zwei Autostunden bis hierher gefahren zu sein. Seit einer ganzen Weile unterhielten sie sich nun schon.
    »Ver-geben oder con-dono bedeutet so viel wie jemandem ein Geschenk überreichen. Eine großmütige Geste, mit der jedoch nicht automatisch das Unrecht erlischt.« Er war ein zierlicher Mann, kaum
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