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Ich schnapp' mir einen Mann

Ich schnapp' mir einen Mann

Titel: Ich schnapp' mir einen Mann
Autoren: Eva Völler
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in Ordnung«, beruhigte Dr. Neumeister sie, während er
sie untersuchte. »Es ist alles ganz normal. So, wie es jetzt aussieht,
können wir bald pressen. Bei der nächsten Wehe schauen wir mal, ob's
schon eine Presswehe wird.«
    »Presswehe?«, fragte Anton mit schwankender Stimme. Was war
das schon wieder?
    »Das ist normal«, beruhigte Hildegard ihn. »Ohne Presswehe
geht nix. Aber so viele wie vorher sind's nicht mehr. Zehn, zwanzig Mal
noch, dann ist's geschafft.«
    Ungefähr so viel wie die Lebensjahre, die ihn das kosten
würde, sagte sich Anton.
    Hildegard ging zur Fensterbank, wo ein Cassettenrecorder
stand, und kurz darauf erklang Violinenmusik, die sich in Antons Ohren
ziemlich stümperhaft anhörte. Doch auf Flora schien das schräge
Gefiedel beruhigend zu wirken. Sie atmete kontrollierter und hörte
sogar für ein paar Momente auf, seine längst abgestorbene Hand zu
zerquetschen.
    Eine Stunde und eine Million Presswehen
später war Flora am Ende ihrer Kraft.
    »Noch ein Mal, Flora«, mahnte Dr. Neumeister. »Es ist fast da!«
    Er und Hildegard machten sich konzentriert zwischen Floras
gespreizten Beinen zu schaffen.
    Flora hielt apathisch die Augen geschlossen. Sie weigerte
sich, länger mitzutun. Sie wollte nur noch tot sein. Wozu ein Kind
kriegen? Was hatte man davon? Sie kosteten unendlich viel Geld und
Nerven, fraßen einem die Haare vom Kopf, wurden erwachsen, kümmerten
sich nicht um einen und mussten am Ende sowieso sterben.
    »Pressen Sie, Flora!«, rief Hildegard.
    »Ich kann nicht mehr.«
    Anton hielt Floras Kopf, wie die Hebamme es ihm gezeigt hatte.
In der letzten Stunde hatte er so viel mitgepresst, dass er das Blut
hinter seinen Augäpfeln kochen fühlte.
    »Los, press endlich!«, befahl er.
    »Ich kann nicht.«
    »Doch, du kannst! Einmal wirst du's ja wohl noch schaffen,
oder nicht?«
    Sie antwortete nicht.
    »Hör mir zu«, beschwor er sie, »du kannst es! Du hast bis
jetzt alles geschafft, was du dir vorgenommen hast! Es gibt Dinge, für
die man kämpfen muss, weißt du noch? Denk an die Schwäne, Flora!
Kämpfe!«
    Sie öffnete die Augen und sah ihn lange an. Anton spürte, dass
sich Kräfte in ihr sammelten, von denen sie bisher nichts geahnt hatte.
    »Jetzt!«, forderte Hildegard sie auf.
    Flora holte tief Luft und presste, was ihre Muskeln hergaben,
zehn, zwanzig, dreißig, vierzig Sekunden lang, angefeuert von den
Zurufen ihrer Hebamme, ihres Arztes und ihres Anwalts, und als sie
endlich erschöpft zurückfiel, wurde plötzlich um sie herum alles
unwirklich still, für eine endlose, atemlose Sekunde lang.
    Dann ertönte der schönste Laut, den Anton in seinen
fünfunddreißig Jahren je gehört hatte: Der dünne Schrei eines
neugeborenen Kindes.
    »Ein Mädchen!«, rief Dr. Neumeister, Vater dreier Töchter,
begeistert. Zwischen seinen Händen tauchte ein blutiges, nasses,
greinendes Bündel Mensch auf, das er behutsam auf Floras Brust legte
und mit einem Laken zudeckte.
    »Ich gratuliere Ihnen beiden! Sie werden tolle Eltern sein!«
    Anton und Flora betrachteten das Baby, dessen winzige Fäuste
fuchtelnd diese neue, unermessliche Weite eroberten, und beide erlebten
dieses wunderbarste aller Wunder gemeinsam.

Nachwehen
    F lorinda und Antonio waren
zusammen, und nur das zählte. Schweigend gaben sie sich der Magie des
Augenblicks hin. Sie wussten beide, dass das hier etwas
Unwiederbringliches, Einmaliges war. Diese kostbarsten Momente, die das
Leben zu schenken hat, erfüllten sie mit einem besonderen Zauber. Das
war es, worum sich alles drehte, worauf alle Kräfte zielten: Die
Quintessenz reinen Glücks.
    Es klopfte an der Tür, und Flora hörte widerwillig auf zu
schreiben. Überrascht und zugleich bedrückt sah sie, wie Kleff ins
Zimmer trat. Er war der letzte Mensch, den sie hier zu sehen erwartet
hatte. Sie drückte die Speichertaste, klappte den Laptop zu und legte
ihn auf ihren Nachttisch.
    »Störe ich?«, fragte er mit erstaunlich leiser und höflicher
Stimme.
    Flora schüttelte den Kopf, zog die Decke bis zum Kinn hoch und
erwiderte unbeholfen seinen Händedruck.
    »Haben Sie eine Minute Zeit?«, fragte er.
    »Ja, natürlich.«
    Kleff zog sich einen Stuhl heran und schaute zum anderen Bett
hinüber, doch Floras Zimmernachbarin schlief tief und fest. Sie hatte
erst in der vergangenen Nacht per Kaiserschnitt entbunden und noch
nicht die Nachwirkungen der Narkose überstanden.
    Bevor Kleff sich setzte, beugte er sich in einer verlegenen
Geste über das kleine Glasbett,
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