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Ich schnapp' mir einen Mann

Ich schnapp' mir einen Mann

Titel: Ich schnapp' mir einen Mann
Autoren: Eva Völler
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einer
unsichtbaren Demarkationslinie stehen. Schartenbrink zeigte ihnen im
Geiste den Mittelfinger. Doch als er sah, was die Polizisten gerade aus
dem Gebäude herausgeschleppt hatten und ohne viel Getue neben einem der
Streifenwagen in den Kies fallen ließen, wich sein Zorn über die
Feigheit seiner Kollegen ungeheurer Erregung. Das war Reality-TV!
    Seine Stimme überschlug sich vor hysterischem Eifer. »Meine
Damen und Herren, das ist unglaublich, es ist nicht zu fassen, Sie
haben es soeben mit Ihren eigenen Augen gesehen! Die Polizei hat eine
männliche Person aus dem Gebäude getragen und neben einem der
Einsatzfahrzeuge abgeladen wie einen Sack Mehl! Bei dieser männlichen
Person handelt es sich zweifelsfrei um den Bankangestellten, in dessen
Filiale der Überfall verübt worden war!« Er ging noch näher hin, und
als er weitere Einzelheiten erkannte, verlor er beinahe das
Bewusstsein, so stark wurde seine Erregung. Er fühlte sich geradezu
erleuchtet, wie ein Heiliger auf dem Scheiterhaufen. So musste es sein,
für die gute Sache zu sterben und in den Himmel zu kommen!
    »Er trägt Handschellen, meine Damen und Herren! Handschellen!
Das darf wohl als untrügliches Zeichen verstanden werden, dass dieser
Mann verhaftet wurde! Von der Polizei verhaftet! Doch was ist das?!«
Die letzten Worte brüllte Schartenbrink so laut, als müsste er ein
ganzes Fußballstadion beschallen. Die Regie strafte ihn sofort ab, und
Schartenbrink zwang sich, seine Lautstärke zu drosseln. Mit
dramatischer Gebärde zeigte er auf Xavier. »Er hat einen Betonklotz an
den Füßen! Ja, ist denn das die Möglichkeit! Doch es ist wirklich wahr,
unsere Augen trügen uns nicht!«
    Der Kameramann zoomte auf Anweisung des Aufnahmeleiters den
Klotz gebührend heran.
    Schartenbrink war indessen nicht zu bremsen. »Hier ist jede
Erklärung überflüssig, meine Damen und Herren! Als Zuschauer von AMS
ist es Ihnen tatsächlich vergönnt, eine wahre Sternstunde der
Verbrechensbekämpfung aus unmittelbarer Nähe mitzuerleben!«
    Seine Stimme wurde ernst, als er auf den Streifenwagen
deutete, in dem Buchhalter und Chauffeur saßen und sichtlich mit ihrem
Schicksal haderten. »Für unsere Zuschauer, die erst jetzt eingeschaltet
haben: Außer dem Bankangestellten Xavier wurden zwei weitere
mutmaßliche Verbrecher dingfest gemacht, es sind dies Angestellte von
Ziegler alias Ziggy, die nach Erkenntnissen unserer Redaktion früher
als Betonbauer gearbeitet haben, bevor sie sich dem Handwerk des
Türstehers und Lokalaufsehers zuwandten. Für Ziegler sollen sie
angeblich als Chauffeur und Buchhalter tätig gewesen sein.«
    In seinem Ohrstöpsel hörte er den Unterbrechungshinweis von
der Regie und wäre fast zum Mörder geworden. »Meine Damen und Herren,
ich bin Herbert Schartenbrink, live für Sie vom Schauplatz des
Verbrechens! Wir unterbrechen nur kurz für die Werbung! Bleiben Sie
bitte dran!«
    Für eine Zigarettenpause war der Zeitpunkt,
ebenso wie für den Werbeblock, denkbar schlecht gewählt. Das wurde den
Männern vom AMS-Team im selben Moment klar, als sie mitbekamen, wie
Ziggy mit einem gewaltigen Hechtsprung aus einem der noch intakten
Fenster geflogen kam, zusammen mit den Scherben im Kies landete und
gekonnt über die Schulter abrollte. Einen Lidschlag später war er auf
den Füßen und spurtete los, in die Dunkelheit. Kleff kam aus dem Tor
gerannt und jagte hinter Ziggy her, gefolgt von einem halben Dutzend
Polizisten, die aus der Fabrik und von den Streifenwagen dazustießen
und rasch aufschlossen.
    »Shit!«, brüllte Schartenbrink. »Da vorn rennen Ziggy und
Kleff! Und die ganze Kohorte! Nichts wie hinterher!« Er warf seine
angerauchte Zigarette weg und nahm die Beine in die Hand. Die übrigen
Männer vom Team schulterten ihr Equipment und rannten ihm nach.
Schartenbrink war in seiner Jugend Schulsieger im Kurzstreckenlauf
gewesen und erreichte daher Sekunden vor dem restlichen Team die
Stelle, an der Kleff soeben in der Manier eines hoch bezahlten
Footballspielers Ziggy mit einem erstklassigen Bodycheck zu Fall
brachte. Die übrigen Beamten der Sondereinsatztruppe verteilten sich
wie um eine Arena, blieben stehen und schauten zu.
    »Mikro«, schrie Schartenbrink über die Schulter, »Licht!
Kamera!«
    »Kamera läuft«, keuchte der Kameramann.
    Der Beleuchter kam angestolpert und hielt zitternd den
Scheinwerfer hoch. Von irgendwoher gelangte das Mikro in Schartenbrinks
Hand.
    Kleff kniete auf Ziggys Rücken, hielt dessen
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