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Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden

Titel: Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden
Autoren: Nojoud Ali , mit Delphine Minoui
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sicher wiederkommen. Und dann sind Wochen ins Land gegangen, ohne dass man etwas von ihr hörte. Bis ich schließlich vor einigen Monaten erfahren habe, dass die Kleine verheiratet worden ist und ein Kind bekommen hat. Mit dreizehn!«
    Njala Matri hat das nur ganz leise zu Shada gesagt, ich sollte es nicht mitbekommen. Das hat sie sicherlich gut gemeint. Sie kann ja nicht wissen, dass in mir in den letzten Wochen ein Plan gereift ist. Ja, es ist entschieden: Wenn ich groß bin, will ich Anwältin werden, wie Shada, und für kleine Mädchen wie mich kämpfen. Ich werde mich dafür einsetzen, das Heiratsalter auf achtzehn Jahre anzuheben. Oder vielleicht auf zwanzig. Warum nicht auf zweiundzwanzig! Ich muss stark sein und hartnäckig bleiben. Ich muss lernen, keine Angst vor Männern zu haben und ihnen gerade in die Augen zu sehen. Und demnächst muss ich auch mal den Mut aufbringen,
Aba
zu sagen, dass ich es nicht gut finde, wenn er sagt, schließlich habe der Prophet Aischa auch mit neun Jahren geheiratet. Ich will wie Shada Schuhe mit hohen Absätzen tragen und mir nicht das Gesicht bedecken. Unter einem
niqab
kriegt man keine Luft! Doch bis dahin gibt es noch viel zu tun. Ich muss eine gute Schülerin werden. Nur so kann ich auf die Universität und Jura studieren. Doch mit Willenskraft kann ich es schaffen.
     
    Die Ereignisse haben sich so überschlagen, seit ich mich an das Gericht gewendet habe, dass mir noch gar nicht klar ist, was mir eigentlich passiert ist. Das wird noch seine Zeit dauern, sicher. Zeit und Geduld. Übrigens hat mir Shada schon mehrfach vorgeschlagen, ich könnte zu einem Arzt gehen, der würde mir helfen. Jedes Mal habe ich den Termin im letzten Moment abgesagt. Es ist doch peinlich, oder, zu einem Arzt zu gehen, den man gar nicht kennt? Schließlich hat es Shada aufgegeben. Am Anfang habe ich mich furchtbar geschämt. Die Scham, die Angst, anders als die anderen zu sein, das schreckliche Gefühl der Minderwertigkeit. Ich konnte mich nicht gegen das furchtbare Gefühl wehren, dieser Sache ganz allein ausgesetzt gewesen zu sein. Das anonyme Opfer einer Geschichte geworden zu sein, die die anderen nicht verstehen können. Mich isoliert zu fühlen. Ausgeschlossen. Gedemütigt.
    Doch im Laufe der letzten Wochen habe ich auch begriffen, dass mein Fall nicht einzigartig ist. Über Geschichten wie meine oder die der dreizehnjährigen Schülerin spricht man zwar selten, doch kommen sie häufiger vor, als man denkt. Vor einigen Wochen hat mich Shada mit Arwa und Rym bekannt gemacht, zwei anderen Mädchen, die wie ich die Scheidung verlangt haben. Ich habe sie ganz fest in die Arme geschlossen, wie Schwestern. Ihre Erzählungen haben mich aus der Fassung gebracht. Arwa ist mit neun Jahren von ihrem Vater gegen ihren Willen mit einem fünfundzwanzig Jahre älteren Mann verheiratet worden. Als sie von meiner Geschichte im Fernsehen erfahren hat, ist sie in das nächste Krankenhaus geflüchtet, nach Jibla, im Süden von Sanaa.
    Das Leben der zwölfjährigen Rym ist nach der Scheidung ihrer Eltern aus den Fugen geraten. Ihr Vater hat sie aus Rache mit einem einunddreißigjährigen Cousin verheiratet. Nach mehreren Selbstmordversuchen hat Rym den Mut gefunden, an der Tür des Gerichts anzuklopfen.
    Ich war stolz darauf, dass sie meine Geschichte zum Anlass genommen haben, sich zu wehren. Ihr Unglück hat mich tief berührt. Irgendwie fühle ich mich auch verantwortlich dafür, dass sie sich entschieden haben, sich gegen ihre Ehemänner aufzulehnen. Wenn sie vor Gericht gezogen sind, dann wegen mir. Es sind hübsche Mädchen, sie haben es nicht verdient, dass man sie gegen ihren Willen verheiratet. Ich habe viel mit ihnen gelitten. Als ich ihre unglücklichen Geschichten hörte, sah ich meine eigene wie in einem Spiegel.
»Khalass!«,
habe ich mir gesagt –
»Es ist vorbei!«
Die Ehe macht Mädchen unglücklich. Ich werde nie heiraten. Nie mehr!
Machi! Machtich!
     
    Oft muss ich an die Geschichte von Mona denken. Auch ihr hat sich das Leben nicht von seiner schönsten Seite gezeigt. Vor einer Woche ist meine große Schwester Jamila endlich aus dem Gefängnis freigekommen! Dort hat sie die Zelle mit echten Kriminellen teilen müssen, darunter Frauen, die ihren Ehemann getötet hatten! Doch zu Hause hat man über solche Dinge nicht gesprochen. Seit langem ist unsere Familie endlich wieder vereint. Doch die Freude währte nicht lange, bald haben die Streitereien wieder angefangen, und erst kürzlich haben
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