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Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Titel: Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)
Autoren: Stephan Harbort
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Einigkeit bestand auch darüber, dass als Grund für eine Schuldunfähigkeit nur eine »schwere andere seelische Abartigkeit« in Betracht kam. Überdies hatten die Experten als bestimmendes Element der »sexuellen Triebanomalie« des Angeklagten einen »extremen Sadismus« erkannt, der dessen Persönlichkeit »in ihrem Kern erfasst« und die übrigen »Deviationen überlagert« habe. Schließlich war unisono festgestellt worden, dass die »hochgradige sexuelle Abnormität« Krolls für sein grausames Morden »ursächlich«, er aber dennoch fähig gewesen sei, »das generelle Unrecht der Straftaten einzusehen«.
    Zerstritten und bisweilen unversöhnlich präsentierte sich die Fraktion der Gutachter, als die Frage der Schuld(un)fähigkeit beantwortet werden sollte. Paragraph 20 des Strafgesetzbuches, übertitelt mit »Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen«, sieht hierzu vor: »Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tief greifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.«
    Die Schuldunfähigkeit im Sinne des Gesetzes fordert demnach eine anomale psychische Verfassung, die »normgemäßes Handeln zur Zeit der Tat« ausschließt und den Täter »exkulpiert«, also entschuldigt. Dabei ist zwischen den psychologischen Komponenten der »Unrechtseinsichtsfähigkeit« (intellektueller Faktor) und der »Steuerungsfähigkeit« (voluntativer Faktor) exakt zu differenzieren. Wird eins dieser Merkmale bejaht, darf der Täter juristisch nicht belangt werden.
    Professor Hermann Witter orientierte sich bei dieser Streitfrage an den Hilfskriterien der »Planmäßigkeit, Zielstrebigkeit und zutreffenden situativen Realitätsorientierung« Krolls. Er attestierte dem Angeklagten »volle Schuldfähigkeit«. In seinem Schlusssatz resümierte der Sachverständige: »Dieser bis zu seiner Festnahme nie in Verdacht geratene unscheinbare Mann, dessen Existenz im Prozess kaum wahrnehmbar war, hat sich nicht wie der Wolf im Schafspelz verstellt oder maskiert – er ist so.«
    Eine gegenteilige Auffassung machte Professor Eberhard Schorsch geltend: Die vorhandene Situationsübersicht und ein in sich geschlossener, sinnvoller und situationsangemessener formaler Ablauf seien »keinesfalls Kriterium für den Nachweis der Steuerungsfähigkeit«. Der Sexualwissenschaftler gab dazu ein Beispiel: Auch ein Patient, der in einen epileptischen Dämmerzustand gerate, für den nach übereinstimmender psychiatrischer Ansicht auf Schuldunfähigkeit zu erkennen sei, verhalte sich in aller Regel äußerlich situationsgerecht, auch die Handlungsketten wären regelmäßig in sich geschlossen und sinnvoll.
    Professor Schorsch vertrat die am weitesten gehende wissenschaftliche These. Er erklärte dem Gericht, es sei »gerechtfertigt«, wenn angenommen werde, dass der Angeklagte wegen schwerer seelischer Abartigkeit seiner Persönlichkeit für seine Taten nicht schuldfähig sei. Schorsch argumentierte, bei Kroll liege »ein so schwerer Defekt des Persönlichkeitsgefüges« vor und seine »soziale Persönlichkeit« sei »so gering« entwickelt, dass er »der abartigen Entwicklung nichts mehr entgegenzusetzen hatte«.
    Dr.  Herbert Maisch, der dritte Sachverständige, stellte zudem die Behauptung auf, es sei »wissenschaftlich kurzschlüssig«, aus dem rein äußeren Tatverhalten Schlussfolgerungen auf die Steuerungsfähigkeit oder generell auf die Schuldfähigkeit zu ziehen. Die Zusammenhänge zwischen äußerem Tatverhalten und Steuerungs- oder Einsichtsfähigkeit seien »viel zu komplex«, um eindeutige Schlüsse zuzulassen. Es komme vielmehr »ausschließlich auf Grad und Gewicht der festgestellten Abnormität an«.
    Die Crux in diesem Fall war, dass die Gutachter nur »persönliche Meinungen« vortragen und »Empfehlungen« aussprechen konnten. Ein exakter wissenschaftlicher Sachverständigen beweis wäre nur bei Bejahung einer biologischen Komponente der Schuldunfähigkeit – wie etwa bei einer der klassischen Geisteskrankheiten – möglich gewesen. Daran fehlte es aber. Mordfieber kann man nicht messen. Und so waren die Richter nun dazu verdammt, allein über diesen wesentlichen, aber doch so strittigen Aspekt entscheiden zu müssen – auf Gedeih und Verderb.
    Im März 1982 konnte nach zweieinhalbjähriger Verhandlung mit den Plädoyers begonnen
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