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Ich mach mir Sorgen, Mama

Titel: Ich mach mir Sorgen, Mama
Autoren: Wladimir Kaminer
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noch früher als du aufgestanden und hat vergessen zu spülen.«
    »Niemals«, meinte meine Mutter, das hätte sie bestimmt bemerkt, weil Papa für irgendwas immer mindestens eine Stunde brauchte und oft dabei sang.
    »Komm bitte vorbei, wir müssen etwas unternehmen.«
    Ich ging zu meinen Eltern.
    »Es ist weg!«, berichtete meine Mutter, als sie mir die Tür öffnete. »Es kam von alleine und ist von alleine verschwunden. Ich habe es wirklich gesehen, halt mich bitte nicht für verrückt!«
    Ich ging nach Hause. Kaum war ich da, klingelte schon das Telefon. Mein Vater war dran.
    »Es ist wieder da!«
    Mein Vater freute sich – wie immer, wenn er sich in seiner Theorie bestätigt sah, wonach alle Welt voller Schurken ist und jede gute Wohnung bloß eine Falle.
    »Ich habe gleich gesagt, etwas kann mit dieser Wohnung nicht stimmen! Für so wenig Miete so viel Komfort! Sie haben uns verheimlicht, dass die Kanalisation kaputt ist. Wir wohnen im ersten Stock, das heißt, das gesamte Irgendwas von oben kommt bei uns an! Heute früh war es rot!«
    Ich rief bei der Verwaltung an, die versprach, einen Installateur zu schicken. Der Meister kam pünktlich auf die Minute. Das Klo war bei seinem Erscheinen natürlich sauber.
    »Wir machen jetzt ein kleines Experiment«, sagte der Meister. »Ich gehe zu Frau Kirsch nach oben und bitte sie um die Erlaubnis, einen Farbstoff durch ihr Klo zu spülen, und dann sehen wir weiter. Einverstanden?«
    »Ja«, sagten wir.
    »Also, ich habe hier einmal Grün und einmal Blau«, der Mann holte zwei Gläschen aus seiner Tasche.
    »Für welche Farbe entscheiden Sie sich?«
    »Ist doch egal«, sagte ich, »machen Sie es in Blau!«
    Der Installateur klingelte oben an der Tür, sprach kurz mit Frau Kirsch und rief uns zu: »Achtung! Ich bin drin.«
    Wir starrten in die Schüssel. Nichts kam. Der Installateur kehrte zurück.
    »Na sehen Sie, ist also doch alles in Ordnung.«
    Meine Mutter bemerkte traurig: »Jetzt werden mich alle im Haus für verrückt halten.«
    Zusammen begleiteten wir den Installateur zur Tür. »Na dann«, sagte er.
    Plötzlich hörten wir meinen Vater aus dem Badezimmer rufen: »Es ist da! Es ist grün!« Mein Vater kämpft immer bis zuletzt.
    Der Meister musste noch einmal ran.
    »Grün! Wie interessant!«, sagte er. »Ich habe Blau runtergespült. Wahrscheinlich hat Frau Kirsch noch von sich etwas Gelbes dazugegeben. Blau und Gelb zusammen ergeben nämlich Grün.«
    »Was soll diese Farbenlehre? Erzählen Sie uns lieber, was man dagegen unternehmen kann«, unterbrach ich den Meister.
    »Gar nichts«, sagte er. »Das Hauptabflussrohr ist niemals wirklich vertikal, es gibt immer einen Winkel, weil die Häuser sich mit der Zeit ein bisschen bewegen. Was durch das Rohr kommt, fällt also nicht senkrecht nach unten. Irgendwas kommt immer irgendwo raus. Wir können, wenn Sie wollen, eine kleine Sperre einbauen, die sich dann nur nach einer Seite hin öffnet, vielleicht funktioniert es ja.«
    Wir ließen uns darauf ein. Die Arbeit dauerte nicht einmal dreißig Minuten und brachte tatsächlich was. Gleich am nächsten Morgen klingelte die Nachbarin aus dem Erdgeschoss bei meiner Mutter. Jetzt hatte sie in ihrer Schüssel irgendwas.

Berlin, Frühling, sechzehn Uhr zwanzig
    Meine Frau und Tochter sind einkaufen gegangen, weil Einkaufen bei uns zu Hause traditionell Frauensache ist. Mein vierjähriger Sohn Sebastian und ich sind zu Hause geblieben und passen aufeinander auf.
    Ich sitze friedlich in der Küche und halte die Hand an den Puls des Weltgeschehens, das heißt, ich höre die Vier-Uhr-Nachrichten auf Radio l. Die Arbeitslosigkeit in Deutschland spielt verrückt, sie ist auf 4,7 Millionen gestiegen. Noch am Vormittag waren es 4,6. Es wird von Stunde zu Stunde schlimmer. In Berlin ist die Arbeitslosigkeit besonders hoch, sie steigt sogar im Minutentempo. Außerdem wird überall in der Stadt geblitzt – ein Glück, dass wir kein Auto haben.
    Sebastian legt überhaupt keinen Wert auf Nachrichten.
    »Mach das Radio aus«, ruft er. »Den ganzen Tag sitzt du vor dem Computer oder in der Küche. Lass uns lieber Fußball spielen!«
    So ist es mit diesen Kindern. Kaum geboren, fangen sie schon an herumzukommandieren. Woher kommen nur dieses Selbstverständnis und diese sprudelnde Energie?
    »So eine Unverschämtheit!«, entgegne ich. »Ich brauche die Küche. Ich brauche das Radio. Und du darfst deine Eltern nicht rumkommandieren!«
    Sebastian überlegt kurz. »Du bist nicht
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