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Ich mach mir Sorgen, Mama

Titel: Ich mach mir Sorgen, Mama
Autoren: Wladimir Kaminer
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Eltern!«, sagt er.
    »O doch, und wie ich Eltern bin!«, rege ich mich auf. »Ich bin voll und ganz Eltern und werde dir jetzt als Beweis dafür den Hintern versohlen.«
    »Okay«, sagt Sebastian und geht in sein Kinderzimmer, um dort weiter Schach zu spielen.
    Wie Großmeister Kasparow einst gegen den Computer spielte, will auch Sebastian gegen seinen Lieblingsroboter gewinnen. Aber eine richtige Spannung lässt sich augenscheinlich bei diesem Spiel nicht aufbauen. Anders als im Falle des Großmeisters Kasparow, hat in diesem Turnier weder der Mensch noch die Maschine eine Ahnung von Schach. Jetzt habe ich Gewissensbisse meinem Sohn gegenüber und mache das Radio aus. Wir spielen Fußball im Korridor.
    »Tor«, schreit Sebastian.
    Ich habe keins gesehen.
    »Tor!«
    Jedes Mal, wenn er den Ball trifft, heißt es sofort »Tor«.
    Danach spielen wir Krankenhaus. Ich bin der Patient. Sebastian als Arzt gibt sich keine Mühe, mich nach irgendwelchen Beschwerden zu fragen, um eine fachkundige Diagnose zu stellen, er kommt gleich zur Sache.
    »Ich muss dich leider aufschlitzen«, sagt er und holt ein Skalpell aus seiner Doktortasche. »Keine Angst, es tut nicht weh!«
    »Aber lieber Arzt, Sie wissen doch gar nicht, was ich habe!«, versuche ich ihn umzustimmen.
    »Das werden wir ja gleich sehen«, meint er.
    »Das darfst du als Arzt nicht machen«, kläre ich ihn auf. »Du darfst mich nicht aufschlitzen, bevor ich dir nicht eine schriftliche Genehmigung erteilt und sie unterschrieben habe.«
    »Dann unterschreib schnell«, sagt Sebastian und holt ein Blatt Papier von meinem Schreibtisch.
    Ich gebe auf. »Okay, lieber Doktor, Sie dürfen mich aufschlitzen.«
    »Dürfen wir danach auch mit dir spielen?«
    »Klar, von mir aus«, sage ich. »Nur glaube ich nicht, dass das geht. Dann bin ich nämlich tot. Und die Toten spielen normalerweise nicht.«
    »Was machst du denn, wenn du tot bist?«, fragt Sebastian interessiert.
    »Oh, ich habe ganz große Pläne«, sage ich.
    »Wie Batman werde ich durch die Luft flattern, Wie Spiderman die Häuser hochklettern, Frauen belästigen, Männer verhauen, Den Guten helfen und den Bösen alles versauen. Aber nachts werde ich euch besuchen, Nachrichten hören und in den Computer gucken.«
    »Ich habe es mir anderes überlegt«, sagt Sebastian, »ich schlitze dich lieber nicht auf.«
    »Ach, vielen Dank«, sage ich.
    »Aber bitte schön«, sagt er.

Losing my tradition
    Obwohl Ost und West in der letzten Zeit immer näher zusammenkommen, sind die jeweiligen Kulturen noch meilenweit voneinander entfernt. Der Mensch kann zwar leichter als früher seinen geografischen Standort ändern, doch die kulturellen Traditionen der Vergangenheit schleppt er immer mit sich herum. Wie ein Sklave seine Ketten wird er seine realitätsfernen Traditionen nicht los. Das kann ich vor allem bei meinem Vater beobachten, der, obwohl schon seit über zehn Jahren in Deutschland, immer noch nicht gelernt hat, ohne Grund zu saufen. Einfach mal abends vor dem Fernseher oder mit Freunden in der Kneipe zu trinken und sich dabei entspannen, das geht nicht. Das kann er nicht. Er braucht zum Trinken immer einen handfesten Grund, der es zu einer Mission erhebt.
    In Russland ist das so genannte Waschen die dafür verbreitetste Volkstradition. Wenn ein Nachbar, ein Freund, ein Familienmitglied, ein Arbeitskollege oder einfach ein flüchtiger Bekannter sich etwas gekauft hat, sei es nun ein Fahrrad, ein Fernseher oder eine neue Hose, muss das Ding sofort in möglichst großem Kreis »gewaschen« werden. Am besten mit Wodka. Ist keiner vorhanden, geht es auch mit Wein oder Bier. Nur dann wird nämlich das Fahrrad die trostlosesten Strecken bewältigen, der Fernseher immer einen guten Empfang haben und die Hose ewig halten, behaupten die Volksweisen. Ich erinnere mich noch gut, wie mein Vater vor vielen Jahren in Moskau einmal auf dem Balkon stand und voller Enthusiasmus unsere Nachbarin terrorisierte.
    »Was hast du da gekauft?«, rief er ihr zu, als sie im Hof einen riesigen Teppich hinter sich herschleppte.
    »Doch nicht etwa einen Teppich? Den müssen wir sofort waschen! Was heißt keine Lust? Bist du verrückt? Er wird doch sonst von Motten zerfressen! Du hast keine Motten? Du kriegst welche! Du hast kein Geld? Ich kann dir was borgen! Was heißt müde, ich habe zwei Flaschen hier, bin gleich bei euch!«
    Mein Vater hielt sich eisern an diese Volkstradition. In unserer Wohnung wurden Möbel, Kleidungsstücke und alle
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