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Ich mach mir Sorgen, Mama

Titel: Ich mach mir Sorgen, Mama
Autoren: Wladimir Kaminer
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Deutsch für Anfänger
    Oft kommt es vor, dass ich von Schulklassen eingeladen werde. Nach der Lesung stellen mir die Schüler Fragen, allerdings wollen sie nie Näheres über den Inhalt meiner Geschichten wissen, sondern immer nur, was ich im Jahr verdiene und wie ich das ganze Geld ausgebe. Einige wenige fragen mich auch, ob ich auf Deutsch träume. Auch andere neugierige Leser versuchen, eine Verbindung zwischen mir und der deutschen Sprache herzustellen.
    »Warum schreiben Sie auf Deutsch?«, fragen sie mich während der Lesungen und in ihren Briefen. »Haben Sie schon in Moskau in der Schule Deutsch gelernt? Sprechen Ihre Kinder Deutsch? Was lieben Sie an der deutschen Sprache?«
    Ich verteidige mich mit aller Kraft. »Nein, ich habe Deutsch nicht in der Schule gelernt, sondern nur hier, aus Not«, erkläre ich. Als Schriftsteller und Journalist war ich an einem großen Lesepublikum interessiert, habe aber den Übersetzern immer misstraut. Und in Deutschland bleibt trotz aller Einwanderungsmassen Deutsch noch immer mit Abstand die einzige Sprache, die von den meisten verstanden und gelesen wird. Ein Sprachkünstler bin ich nie gewesen, für mich ist die Sprache nur ein Werkzeug, ein Hammer, der mir hilft, Verständigungsbrücken zu anderen zu schlagen. Der Umgang mit der Sprache kann unterschiedlich sein. So wie Musiker ihre Gitarren auch sehr unterschiedlich quälen – der eine kann mit zwölf Fingern und der Nase darauf spielen, der andere haut mit der Faust auf sein Instrument. Wenn er aber tatsächlich etwas zu sagen hat, kann er mit zwei Akkorden große Begeisterung beim Publikum hervorrufen. Selbst die verdorbensten Musikkritiker schütteln dann den Kopf und sagen: »Diese zwei Akkorde sind zwar total abgenutzt und belanglos, aber wie der Kerl auf die Saiten haut, das ist doch bemerkenswert. Ein großer Musiker.« Und so haue ich auf mein Deutsch, das bei weitem nicht perfekt ist, aber ausreicht, um sich damit Gedanken über das Leben zu machen und sie zu Papier zu bringen.
    Meine erste Bekanntschaft mit der deutschen Sprache fand in der sowjetischen Schule Nr. 701 statt. Dort durften wir in der fünften Klasse auswählen, welche ausländische Sprache wir lernen wollten. Deutsch und Englisch standen zur Auswahl – alle Kinder entschieden sich für Englisch. Deutsch war als Nazisprache verpönt. Irgendjemand musste aber auch Deutsch lernen, immerhin lebten wir in einer Planwirtschaft. Also wurden die schlechten Schüler und Rowdys zum Deutschunterricht verdonnert.
    Die beiden Sprachlehrerinnen kamen am Ende der großen Mittagspause in die Schulkantine. Die Englischlehrerin war eine junge gefärbte Blondine mit langen Fingernägeln. Sie hatte außerdem eine tiefe, erotische Stimme: » Ladies and gentlemen « , rief sie, » come on please – to the classroom! «Das klang für uns damals sehr cool, das war die Sprache unserer Propheten, die Sprache von Ozzy Osbourne, Manfred Mann und KISS. Die Deutschlehrerin war eine ältere Dame mit Hornbrille und einem grauen Zopf auf dem Kopf, sie trug eine selbst gestrickte graue Bluse und sah aus wie eine große alte Krähe.
    » Kommt zu mir, Kinder! In das Klassenzimmer «, krähte sie in der Kantine. Alle bekamen eine Gänsehaut von diesem » Klassenzimmer «.
    Nicht nur die Schüler, auch die russischen Klassiker standen der deutschen Sprache kritisch gegenüber. Leo Tolstoi verglich sie mit den unendlichen Gleisen der Eisenbahn – bis an den Horizont. Nabokov ging noch weiter und behauptete, dass sich die deutsche Sprache so anhört, als würde einer Nägel in Bretter treiben. Ich war zwar kein guter Schüler, aber nicht schlecht genug für den Deutschunterricht. Also verbrachte ich meine jungen Jahre im classroom: » Desmond has a barrow in the market place / Molly is the singer in a band. «
    Als ich 1990 nach Deutschland aufbrach, hatte ich nur einen alten russisch-deutschen Sprachführer aus der Bibliothek meiner Mutter dabei, extra für diesen Anlass enteignet. Das dünne Heft von 1957 bewies schon in den ersten Sätzen seine Nutzlosigkeit: »Wie komme ich zur Sowjetischen Botschaft?«, stand dort; und: »Ich muss dringend den sowjetischen Botschafter sprechen.« Die Sowjetische Botschaft stand nicht auf meiner Liste der Berliner Sehenswürdigkeiten, und der sowjetische Botschafter war der Letzte, den ich sprechen wollte. Meine Englischkenntnisse hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits auf natürliche Weise aus dem Kopf verflüchtigt. Wer war noch mal
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