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Ich mach mir Sorgen, Mama

Titel: Ich mach mir Sorgen, Mama
Autoren: Wladimir Kaminer
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der Sowjetunion gerade Videoabspielgeräte erfunden. Das Modell »Elektronika WM12« eroberte schnell den sozialistischen Markt. Man konnte ihn in jedem Elektronikladen relativ preiswert kaufen. Allerdings gab es dazu keine Videofilme außer Schwanensee und Peter der Große. Die richtigen Streifen waren dagegen nur im Ausland oder auf dem Schwarzmarkt zu kriegen.
    Mein Freund und Nachbar Alexander, der damals, obwohl auch erst Viertel nach achtzehn, schon alle Eigenschaften eines ausgewachsenen Geschäftsmannes besaß, eröffnete bei sich zu Hause einen illegalen Videosalon. Für drei Rubel konnte man bei ihm großes amerikanisches Kino sehen. Alex akzeptierte Gruppenrabatte, servierte kaltes Bier aus dem Kühlschrank und hatte drei Filme auf Lager: einen Bud-Spencer-Rülpser-Thriller, Rambo – das erste Blut und den Terminator 1. Seine Geschäftsidee sprach sich schnell in der Gegend herum, und unser korrupter Abschnittsbevollmächtigter – oder auf Westdeutsch: »Kontaktbereichsbeamter« – schaute regelmäßig bei Alexander vorbei. Er nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank, etwas Geld aus der Kasse und sagte zum Abschied jedes Mal: »Ich komme wieder«, woraus wir messerscharf schlossen, dass diese Dumpfbacke den Terminator ebenfalls gesehen hatte. »Auch den Bullen ist nichts Menschliches fremd«, philosophierte Alexander.
    Dem zweiten Terminator begegnete ich sieben Jahre später in Berlin, 1991. Ich versuchte als Langzeitarbeitslosen-Azubi mit anderen Langzeitarbeitslosen im Prenzlauer Berg Kontakt aufzunehmen, um Erfahrungen auszutauschen. Zu diesem Zweck besuchte ich regelmäßig den Videoverleih in der Lychener Straße. Jeden Tag saßen dort am Tresen die Freunde des blutigen Actionfilms und diskutierten dort das Verhalten der für sie zuständigen Sachbearbeiter beim Sozialamt. Schwarzenegger schaute ihnen aus der Glotze zu. In dem Streifen wurde er umprogrammiert, um Menschen zu helfen. Aber nicht allen Menschen: denen in der Lychener Straße konnte er nicht helfen. »Hasta la vista, baby«, tröstete er sie.
    Zwölf Jahre sind seitdem vergangen. Der Terminator 3 kämpft nun auf der Seite aller Menschen. Sein Body und seine künstliche Intelligenz scheinen sich in den zwölf Jahren nicht wesentlich verändert zu haben, aber er sagt solche komischen Sätze wie: »Sprich zu der Hand!«, und schaltet sich plötzlich mitten im Film automatisch aus. Schlechte Software. Genau wie meine Kiste zu Hause.
    »Die Maschinen werden immer dämlicher, wir werden siegen«, tippe ich in meinen Laptop. Es ist fünf nach Terminator drei, ich schalte alles aus.
     

Krieg und Frieden in der Bildung
    Aufmerksam verfolgten wir die Debatte über die deutsche Bildung. Unsere Kinder, der Junge ist vier und das Mädchen sechs Jahre alt, werden bald auch in eine deutsche Schule gehen müssen. Den zahlreichen Medienberichten, die Angst und Schrecken vor dem deutschen Schulwesen verbreiteten, schenkten wir keinen Glauben, weil die Medien immer auf Krawall aus sind und oft und gerne übertreiben. Stattdessen sprachen wir mit unseren Nachbarn und mit Freunden und Bekannten, die Kinder im schulpflichtigen Alter haben. Wir wollten alles genau wissen. Wie blöd sind die deutschen Schüler wirklich? Wie gut sind sie bewaffnet? Was nehmen sie für Drogen?
    »Alles halb so schlimm«, meinten unisono alle Eltern, »die Schule ist eben so, wie man sie aus der eigenen Kindheit kennt.« Ob in Moskau oder in Berlin mache keinen Unterschied. Wichtig sei allerdings, dass die Kinder bereits vor der Schule über bestimmte Kenntnisse verfügen, das heißt, dass sie zum Beispiel schon lesen, schreiben und rechnen können. Die Statistik zeige, dass Kinder, die im Vorschulalter rechnen und schreiben können, es auch noch nach der Schule tun – egal, wie dämlich diese war. Diese wichtige Kulturleistung müssten aber die Eltern ihnen persönlich beibringen – und nicht dem Staat überlassen, erklärten uns unsere Freunde.
    Also kauften wir große Stapel Papier, Buntstifte und machten aus unserer Wohnung eine gemütliche Vorschule. Schon bald konnte Sebastian »Mama« schreiben und auch »Mamam«. Nicole verfasste sogar einen ganzen Liebesbrief an einen Freund aus der Kita: »Lieber Miron, bei uns im Keller gibt es fette Schaben, ich liebe dich. Nicole.« Auch bei den vier Grundrechenarten kamen die beiden ziemlich schnell voran. Sebastian konnte bis zehn, Nicole bis hundert zählen. Bald mischte sich die ganze Familie in den Unterricht ein, und Oma
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