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Ich mach mir Sorgen, Mama

Titel: Ich mach mir Sorgen, Mama
Autoren: Wladimir Kaminer
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und Opa überschütteten ihre Enkelkinder mit immer neuen Rechenaufgaben: »Der Großvater hat innerhalb einer Woche drei Sechserpack Bier gekauft, wie viele Flaschen pro Tag säuft der Großvater also?«, fragte die Oma. »Die Großmutter verbringt jeden Tag sechs Stunden vor der Glotze«, konterte der Opa, »wie lange sieht die Großmutter pro Woche fern?«
    Unsere Kinder lernten schnell. Nun, dachte ich, zum Wissensgut der neuen Generation gehört zweifellos auch der Umgang mit den interaktiven Medien. Die Kinder müssen ins Netz, bevor sie in die Schule gehen! Im russischen Internet fand ich dazu eine passende Seite: »Online-Lehrspiele für Kinder von 3 bis 6«. Das erste Spiel hieß: »Dein Geburtshaus brennt«. Eine blonde Krankenschwester musste möglichst viele Babys aus der brennenden Gynäkologie retten. Die Babys fielen aus den Fenstern, die Krankenschwester fing sie mit einem Tuch auf. Brennende Fernsehgeräte, große Steine und andere Dinge, die ebenfalls aus den Fenstern fielen, aber nicht wie Babys aussahen, sollte sie dagegen meiden. Bekam die Krankenschwester einen Fernseher auf den Kopf, musste sie eine Minute pausieren.
    Ich bin eigentlich ein guter Spieler: Vor zehn Jahren erledigte ich haufenweise Ungeheuer im Computerspiel »Doom« und flog stundenlange Einsätze mit einer F117 gegen den Irak und Palästina. Von den möglichen dreißig Babys rettete ich locker fünfundzwanzig. Wenn aber zwei Babys gleichzeitig aus verschiedenen Fenstern fielen, machte eines davon »Plumps«, und auf dem Asphalt bildete sich eine blutrote Pfütze.
    »Wo sind die Babys nach dem ›Plumps‹ hin?«, fragte meine Tochter mit zitternder Stimme.
    »Keine Sorge, sie bleiben im Internet«, murmelte ich.
    Auch die anderen Spiele erwiesen sich als absolute Schweinerei. In einem kam Graf Dracula aus dem Grab und grunzte wie ein Ferkel. Daraufhin bekam er von uns eine Ladung Silber direkt ins Herz und fiel in sein Grab zurück. Doch keine Sekunde verging, schon stand er wieder auf der Matte und grunzte. Die blöde Online-Sau war unsterblich. In dem dritten Spiel lief das gelbe Teletubby Lala Amok. Mit zwei Maschinengewehren in der Hand stürmte Lala das Teletubby-Häuschen und metzelte alle ihre Freunde nieder; sie wehrten sich nicht einmal und sagten nur jedes Mal »O-o!«, wenn sie getroffen wurden.
    Der Lehrgang »Interaktive Medien« machte uns also keine große Freude und sorgte für einige schlaflose Nächte in der Familie. Die Kleinen hatten Angst vor Albträumen und blieben lange wach; ich nutzte die Nacht, um Dracula in Abwesenheit der Kinder bloßzustellen, mit anderen Waffen und anderen Strategien. Man muss alle Gefahren, die auf die Kinder in der Zukunft warten, gut kennen, nur dann ist man ein guter Vater, sagte ich mir – und ballerte weiter auf Dracula. Leider vergeblich. Er war tatsächlich unsterblich!

Das sexuelle Leben der Marfa K.
    Unsere schöne Siamkatze Marfa aus Kasachstan wurde rollig. Der alternative Tierarzt im Prenzlauer Berg empfahl uns, der Katze, statt sie mit Beruhigungstabletten zu füttern oder sie gar zu sterilisieren, einfach einen Kater zu besorgen.
    »Einmal im Leben«, sagte der Arzt und hob den Zeigefinger, »muss jeder eine sexuelle Erfahrung durchmachen. So etwas zu verbieten, wäre ein Verbrechen. Wenn Sie nicht wollen, dass Ihre Katze träge und apathisch wird und später durchdreht, dann suchen Sie ihr einen Partner.«
    Der Arzt sprach mir aus der Seele, außerdem war unsere Katze wegen ihres andauernden Liebeskummers bereits am Durchdrehen. Sie lief nur noch rückwärts durch die Wohnung und hielt dabei ihren Po hoch. Unsere Kinder freuten sich und riefen immer wieder: »Schau mal, die Katze ist hinten krank!« Dabei versuchten sie ihr Leiden zu mildern, indem sie an ihrem Schwanz zogen, und machten dadurch alles noch viel schlimmer.
    Auf einer Familienversammlung wurde beschlossen, einen Siamkater für Marfa zu besorgen. Ich rief bei einem Freund an, der in der Annoncenabteilung einer russischen Zeitung arbeitete, schilderte ihm die Situation und bat um Hilfe. »Alles klar«, meinte mein Freund. Am nächsten Tag stand in der Zeitung unter der Rubrik »Tiere«: »Geiles Siamkätzchen sucht soliden Siamkater für gemeinsame Stunden.« Und darunter unsere Telefonnummer. Mir schien diese Anzeige jedoch nicht ernsthaft genug. Also rief ich wieder bei der Zeitung an und erklärte ihnen, dass wir eigentlich keine Sexorgie für unsere Katze bestellen wollten, sondern die durchaus
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