Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich lebe lebe lebe - Roman

Ich lebe lebe lebe - Roman

Titel: Ich lebe lebe lebe - Roman
Autoren: Alison McGhee
Vom Netzwerk:
Alle Millers müssen da durch, und viele kommen nicht mehr raus.«
    Verrücktheiten, durch die sie durchmüssen. Als wären das irgendwelche Orte auf dem Weg zu anderen Orten, ein Zwischenstopp auf dem Weg zu einer Stadt, einem Touristenziel.
    »Tom Miller ist nicht verrückt«, sage ich.
    William T. denkt nach. Ich sehe ihm an, wie er sie in seinem Kopf bewegt, die Millers, angefangen bei Joe und weiter über Greg und Tubes und Shorty bis hin zu Spooner. Nein , denkt er jetzt, und ich sehe es ihm an, nein, Spooner ist nicht verrückt, jedenfalls nicht nach Art der Millers – und Tom, als Spooners Enkel, ist es vielleicht auch nicht, jedenfalls nicht nach Art der Millers.
    »Kann sein, dass du recht hast, Kleine«, sagt William T. nach einer Weile. »Tom Miller ist vielleicht die Ausnahme, die die Miller-Regel bestätigt.«
    Einmal habe ich Tom Miller dabei beobachtet, wie er in der Schule Wasser trank. Wie ein schönes junges Pferd kam er mir vor, so über den Trinkwasserbrunnen gebeugt, nichts als Muskeln und Durst. Er hat getrunken und getrunken und getrunken, so als könnte er nie genug bekommen.
    »Toms Vater war allerdings wirklich verrückt«, sagt William T. »Schon vor dem Krieg war Chase Miller ein bisschen verrückt.«
    Chase Miller war als Soldat nach Vietnam gegangen, in den Dschungel. Vietnam kommt als Nächstes dran in unserem Buch der Kriege. Wenn ich versuche, mir den Dschungel dort vorzustellen, sehe ich lauter Farben: das Grün der Bäume, das Braun der Rinden, Pflanzen, die bis zum Himmel wachsen, weil sie Sonne und Regen und Wärme ohne Ende bekommen. Neonfarbene Papageien kreischen in den Bäumen, Schlangen winden sich um Äste. So weit entfernt von uns hier, wie ich mir einen Ort überhaupt nur vorstellen kann.
    »Dieser gottverdammte Krieg hat Chase fertiggemacht«, sagt William T.
    Diesmal sage ich nicht Du schuldest mir einen Vierteldollar, William T.
    Chase starb an Leberzirrhose, noch bevor Tom zur Welt kam. Toms Mutter konnte sich nicht um ihn kümmern, also hat sie ihn beim alten Spooner gelassen.
    Sie sei nach Kanada gezogen, hat William T. mir irgendwann erzählt. »Um von diesem kranken Amerika wegzukommen, hat sie gesagt.«
    Tom hat immer bei seinem Großvater gelebt, in der Blockhütte am Deeper Lake. Ohne Strom, ohne fließendes Wasser. Von unserem Haus aus kann man zu Fuß zum Deeper Lake gehen. Von unserem Haus aus kann man überallhin zu Fuß gehen. Kann sein, dass man Gebirge überwinden muss, die in keiner Karte verzeichnet sind, dass man Tausende von Meilen unter Wasser zurücklegen muss, um einen Ozean zu durchqueren, doch wenn man entschlossen genug ist, kann man von unserem Haus aus zu Fuß an jeden Ort der Welt gelangen. Man kann bis in den Dschungel von Vietnam laufen und sich dort verlieren.
    Ich ziehe die Jalousien hoch und lasse die Sonne in IvysZimmer. Sanft und süß kommt die Mailuft durchs Fenster. William T. sitzt auf seinem blauen Stuhl, liest in seinem Vogelbuch und erweitert seine Kenntnisse über die amerikanische Vogelwelt. Wenn Ivy und ich nicht unseren Unfall gehabt hätten, würde William T. jetzt seiner Freundin Crystal bei den letzten Arbeiten helfen, bevor sie ihren Diner für die Nacht schließt. Genau jetzt schrubbt Crystal ihren Grill. Wenn William T. jetzt dort wäre, würde er jeden der roten Barhocker abwischen. Dann würde er zu den Nischen hinübergehen, jede der Tischplatten aus Holz und jeden der roten Kunststoffsitze säubern. Sobald er mit allem fertig wäre, wäre auch Crystal mit ihren Vorbereitungen fürs Frühstück am nächsten Morgen fertig. Gemeinsam würden sie das Lokal verlassen und in Crystals oder William T.s Truck steigen, je nachdem, wer von ihnen an diesem Tag gefahren ist. Vor dem Unfall habe ich den beiden manchmal geholfen. Zuckerspender aufgefüllt. Salz- und Pfefferstreuer aufgefüllt. Gecheckt, ob genug Ketchup in den Ketchup-Flaschen war. Viele Leute mögen ihre Eier mit Ketchup, wusstest du das? Ich nicht. Also, nicht bevor ich anfing, Crystal und William T. zu helfen.
    Inzwischen verbringt William T. seine Nachmittage auf dem blauen Stuhl, wo er die Zeit sinnvoll nutzt, während ich Ivy vorlese.
    Angel kommt auf leisen Sneakersohlen herein. Ihren Engelanstecker hat sie heute in Taillenhöhe stecken. Mal was Neues.
    »Angel, ich hab eine Frage.«
    »Und wie wäre die, William T.?«
    »Es geht um Zuchthäuser.«
    Angel zeigt keine Regung. Das macht sie nie. In der Hinsicht ist sie wie Crystal, sie akzeptiert William
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher