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"Ich laufe, um zu laufen ...": Eine Frauen-Laufen-Anthologie (German Edition)

"Ich laufe, um zu laufen ...": Eine Frauen-Laufen-Anthologie (German Edition)

Titel: "Ich laufe, um zu laufen ...": Eine Frauen-Laufen-Anthologie (German Edition)
Autoren: Susanne Mahlstedt
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Anzüge auf und lässt sie Schwimmwesten ähneln. Zum ersten Mal wird uns Läufern mit einer relativ kurzen Fährüberfahrt der feste Boden unter den Füßen entzogen. Auch wenn unser Laufplan nicht ins Wanken gerät, wir selbst tun es.
    Eigentlich gibt es ja nur Tief-Ausläufer, aber in Hinblick auf unsere Laufrichtung sind wir wohl Tief-Einläufer. Eine große Wolke zieht heran und entlädt sich in einem riesigen Wolkenguss. Zwanzig Minuten lang duscht uns das holländische Wasser sauber und bringt mir gleichzeitig Farbe ins Gesicht. Mein Lidschatten verschmiert, läuft in meine Augen. Ja, warum sollte nicht auch er laufen? Die anderen Läufer sammeln Kilometer. Doch ich falle zurück, bin schon fast die Letzte in dieser mit sauberen Villen und Tiefgaragen vollgepfropften und doch menschenleeren Sommerresidenz. Eine innere Kraft stoppt mich. Muss ich kürzer treten? Ich merke, ich baue ab und verliere zunehmend den Anschluss.
    Und da sind wie wieder - meine Ahnungen - sie dehnen sich aus, überholen sich gegenseitig, laufen über. Sie mischen sich beiläufig unter und ziehen an den gardinenlosen Fenstern der holländischen Häuser vorbei.Welche Schritte muss ich tun, um sie wieder loszuwerden? Wenn sich diese Ahnungen nur wieder verlaufen könnten! Doch sie wachsen wie Blasen an den Füßen, von denen ich zum Glück keine verspüre. Doch dafür Druck auf die Blase.
    Die Kellnerin eines Restaurants am Nordseestrand stellt extra für uns die bereits hochgestellten Stühle wieder herunter. Na gut, Eierkuchen mit Käse für die ganze Truppe. Sandsturm am Strand. Massen an Seenägeln, einer besonderen Muschelart, liegen im Sand. Wir alle flattern im Wind. Ich nehme zwei Hände voll Sand, drehe mich wild wie ein Kreisel und öffne die Hände. Der Sand fährt Karussell. Vermischt mit Regen wird er bis England auf meiner Haut kleben.
    Pillen gegen Seekrankheit machen die Runde. Auch der Beipackzettel geht herum. Eine innere Stimme sagt mir, „Die sind jetzt nicht gut für dich, nimm sie nicht. Greif auf Ingwer zurück.“ Oostende - riesige, schneeweiße Brocken,- die Fähren fahren über das aufgewühlte, schäumende Meer. „Willkommen an Bord der Prinz Albert.“ Es riecht nach Maschinenöl, was mich anwidert. Das stille Plätschern der Schaufelräder dringt bis in meinen flachen Schlaf. Wie einen unterschwellig nagenden Zahnschmerz bemerke ich das sanfte Schaukeln. Ich hänge an der Ingwertüte. Die in regelmäßigen Abständen wiederkehrenden Lautsprecheransagen klingen apathisch. Bis zum Morgen schwanken wir der Insel entgegen. Weiße imposante Kalkfelsen, über denen Möwen kreisen, begrüßen uns. Welcome to Ramsgate.
    An diesem Morgen will ich im Nachbar-Team weiterlaufen, möchte unbedingt dabei sein, wenn die“ Running Sixties“, eine englische Läufergruppe, uns begleiten. Eigentlich die reinste Überforderung nach der fast schlaflosen Nacht. Doch der Körper wird vom Geist überrumpelt und muss weiter.
    „You look like a six minutes miler“ meinen die „Runnings Sixties“- ich komme mir dagegen wie eine ausgequetschte Zitrone vor, vor allem wenn ich in den Spiegel schaue. 130 Kilometer durch die Grafschaften Kent und Surrey. Laufende Englisch-Konversation. Wenige Minuten später bin ich schon in ihren Laufplan eingeflochten. Eine bislang ungekannte Läufer-Symbiose. Das seltsame Gefühl in meinem Bauch zwingt mich abzubremsen. Ich bin nicht kraftlos, werde aber wie von einer inneren Kraft gezügelt. Der Ehrgeiz der anderen ist mir auf einmal so fern, als würde ich gar nicht mehr zu diesem Strom gehören. Ich bin grün im Gesicht, so wie der Rasen, auf dem ich mich kurz ausruhe. Doch ich muss noch meine Schicht im A-Team durchziehen. Das Laufrad dreht sich immer weiter. Laufen kann ja auch entlastend sein. So erinnere ich mich plötzlich an das Geheimrezept meines Vaters. Hatte ich Liebeskummer, liefen wir durch die Straßen von Dresden. Nach einer 25 Kilometer Asphalt-Kur war der Liebeskummer vorbei, zumindest für eine gewisse Zeit totgelaufen. Kann man sich also auch die Liebe aus dem Leib laufen?
    Ich stehe in einem Kornfeld in Südengland, telefoniere nach Hause und werde gefragt, ob das allmonatlich wiederkehrende „Ereignis“, das bereits auf sich warten ließ, denn nun eingetreten sei. Nein, ist es nicht. Coventry, das Ziel, ist erreicht: Empfang beim Bürgermeister.
    Wir tauschen unsere T-Shirts mit den englischen Läufern. Sekt und Sandwiches. Die Rede unseres Bürgermeisters geht in die
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