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Ich kenne dich

Ich kenne dich

Titel: Ich kenne dich
Autoren: Jenn Ashworth
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drapieren musste – sind verschwunden. Sie verblasst allmählich. Ich bewahre die Fotos lichtgeschützt auf, in einer Schublade, aber trotzdem vergilben sie. Bis dieser Pavillon fertig ist, wird sie weg sein.
    Ich habe nie jemandem diese Fotos gezeigt. Habe nie ein Wort darüber verloren. Ich war ihre beste Freundin. Ich behielt sämtliche Geheimnisse für mich, die sie mir anvertraute. Hätte sie solche Foto-Sessions mit Emma machen können? Nach zehn Jahren fällt es mir immer noch schwer zu akzeptieren, dass ich es wahrscheinlich niemals erfahren werde.
    In meinem Besitz ist auch ein Foto von Emma und mir aus jener Zeit. Ich lasse den Fernseher alleine, während die Nachrichten über die nackten Wände meiner Wohnung flimmern, und nehme es aus der Schublade, in der ich es verstecke. Es ist alt, aber nicht verblasst. Darauf tun wir so, als würden wir ein Loch in den Schulbeeten graben. Die Juliet-Rosen liegen neben uns, die Wurzeln mit feuchtem Stoff umwickelt. Emmas Hand ruht auf dem Spaten, und sie starrt in die Kamera. Meine Finger ruhen auf ihrem Arm. Man hat uns gesagt, so zu bleiben. Kein Lächeln, während wir uns berühren. Das Bild war in der Zeitung – unsere blassen Gesichter, leer wie Masken und erstarrt im Blitzlicht der Aufmerksamkeit.
    Die Leute wollten wissen, ob Chloe sich uns anvertraut hatte, ob wir die Anzeichen bemerkt hatten. Ich sagte nichts. Emma und ich sahen uns an, und der Fotograf machte eine weitere Aufnahme. Das ist die, die ich habe.

3
    Chloe wollte zu Debenhams, um nach Ohrringen zu schauen. Wir wollten eigentlich Wei hnachtseinkäufe erledigen, aber ich glaube, sie suchte etwas Besonderes, das sie zu ihrer Silvesterparty tragen konnte. Sie hatte in der Parfümerie- und Kosmetikabteilung herumgelungert, wo sie Sachen ausprobierte und sämtliche offenen Lidschatten antestete, bis man sie wegscheuchte. Dass sie regelmäßig klaute, war ein Geheimnis, aber ich war eingeweiht, weil ich diejenige war, der sie ihre Geheimnisse anvertraute. Das versteht sich von selbst. Manchmal wurde ich verdächtigt, aber das war okay – dafür sind beste Freundinnen da. Sie bewegte sich schnell durch die Regale und Auslagen und glitt zwischen den Menschen durch und an ihnen vorbei, ohne sie zu berühren. Katzengleich. Ich folgte ihr. Aber die Leute versperrten mir den Weg, wo sie nur eine Sekunde vorher durchgehuscht war. Ich folgte ihr immer.
    »Sieh mal, da!«
    Sie ging zu einem Korb, der mit Weihnachtsdekoration gefüllt war. Sie war manchmal wie ein kleines Kind – magisch angezogen von allem, was glänzte oder hübsch eingepackt war. Ich glaube, sie mochte Weihnachten viel mehr, als sie zugeben wollte. Sie bewertete alles immer nur mit »okay« oder »öde«, aber ich glaube, in diesem Jahr freute sie sich richtig auf Weihnachten.
    Als ich sie einholte, öffnete sie bereits kleine Päckchen und nahm winzige Kristall-Rentiere aus ihren Seidenpapierbetten. Sie lachte darüber und hielt sie an ihre Ohrläppchen. Die leeren Päckchen und das Seidenpapier lagen um ihre Füße herum.
    »Wie wäre es damit, für meine Mum?«, fragte sie und wackelte mit den Kristallfiguren, bis die Glöckchen an den Geschirren klingelten.
    »Was machst du da?« Ich lachte. Ich konnte nicht anders.
    Wir hatten eine ganze Reihe Running Gags über Leute, die wir kannten – hauptsächlich Leute aus der Schule oder unsere Familienmitglieder. Über die Vorliebe ihrer Mutter für große bunte Ohrringe machten wir uns oft lustig. Ich dachte, die Leute ahnten nicht, dass wir über sie lachten. Vielleicht verdrängte ich auch, wie es sich anfühlte, ausgelacht zu werden. Wir unterschätzten uns. Wen kümmerte es? Wir waren nur Mädchen – harmlose Nervensägen, die sich in Geschäften zu laut verhielten.
    »Wie wäre es damit?«, sagte ich. Ich hob einen Streifen Seidenpapier auf und drückte ihn auf meine Oberlippe. »Hallo Chloe«, brummte ich mit verstellter, tiefer Stimme. »Hast du schon meinen neuen Wagen gesehen? Das ist ein richtiger Aufreißerschlitten!«
    Chloe schaute, blinzelte ein, zwei Mal mit ihren metallischen Augen und wandte sich halb ab. »Wer soll das sein?«, fragte sie. Sie machte ein sehr unbewegtes und ernstes Gesicht.
    Ich wedelte leicht mit dem Papierstreifen. »Ich habe eine Schachtel Pralinen für dich, Chloe. Komm her und gib uns einen Kuss!«
    »Das ist nicht wirklich komisch«, informierte sie mich.
    Das letzte Mal, als wir Carl sahen, hatte er sich einen Schnauzer wachsen lassen. Anscheinend
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