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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII.
Autoren: Margaret George
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heute nicht verloren habe. Hat auch sie damals ihren Anfang genommen?) Es gefiel mir, sämtliche Blicke in Westminster Hall auf mir zu wissen, als ich sie der Länge nach durchschritt, Vater entgegen. Die Einsiedlerkutte war rau und kratzte, aber ich wagte nicht, mir mein Unbehagen anmerken zu lassen. Vater thronte auf einer Estrade auf einem dunklen, holzgeschnitzten Sessel aus königlichem Besitz. Er war mir fern und hatte nichts Menschliches – wahrhaft ein König. Ich trat ihm ein wenig zitternd entgegen, und er erhob sich und nahm ein langes Schwert und schlug mich zum Ritter und zum Mitglied des Bath-Ordens. Als er das Schwert wieder hob, streifte es leicht meinen Hals, und ich fühlte überrascht, wie kalt der Stahl war, selbst an diesem hochsommerlichen Tag.
    Dann ging ich langsam rückwärts hinaus in den Vorraum, wo Thomas Boleyn, einer von Vaters Leibjunkern, auf mich wartete, um mir beim Anlegen der schweren roten Zeremoniengewänder zu helfen, die eigens für diesen Tag angefertigt worden waren. Sodann begab ich mich zurück in die Halle, wiederholte das Ganze und ward so zum Herzog von York.
    Danach sollte ich geehrt werden; Sämtliche Edlen und hochrangigen Prälaten sollten kommen und sich vor mir verneigen und mich so als den höchsten Adeligen von England anerkennen – nach dem König und meinem älteren Bruder Arthur. Heute weiß ich es, aber damals verstand ich nicht, was es bedeutete. Der Titel »Herzog von York« war bei Thronprätendenten beliebt, und so gedachte Vater seinen Edlen einen Gefolgschaftseid abzunehmen, indem er ausschloss, dass sie spätere Prätendenten anerkannten – denn zwei Herzöge von York kann es schließlich nicht geben. (Ebenso wenig wie es zwei Köpfe von Johannes dem Täufer geben kann, wenngleich manche Papisten beharrlich beide verehren.)
    Aber damals verstand ich davon nichts. Ich war erst drei Jahre alt. Es war das erste Mal, dass man mich zu etwas auserkoren hatte, was nur mich betraf, und ich hungerte nach solcher Aufmerksamkeit. Ich stellte mir vor, dass sich nun alle Erwachsenen um mich drängen und mit mir reden würden.
    Es kam ganz anders. Ihre »Anerkennung« bestand in einem kurzen Blick in meine Richtung, einem leichten Neigen des Kopfes. Ich fühlte mich ganz verloren in diesem Wald von Beinen (so kam es mir vor; ich reichte einem erwachsenen Mann ja kaum bis an die Hüften), die sich bald zu kleinen Gruppen von drei oder vier Männern fügten. Ich sah mich nach meiner Mutter, der Königin, um, doch ich konnte sie nirgends entdecken. Aber sie hatte doch versprochen, zu kommen …
    Eine blökende Fanfare verkündete, dass an dem großen Tisch entlang der Westwand der Halle nun die Speisen aufgetragen würden. Eine lange weiße Leinendecke lag auf dem Tisch, und alle Platten waren aus Gold. Sie glänzten in dem matten Licht und bildeten so einen Gegensatz zu den Farben der Speisen, die darauf angerichtet waren. Mundschenke begannen umherzugehen; sie trugen große goldene Krüge. Als sie zu mir kamen, wollte ich auch etwas, und darüber musste jeder außer mir lachen. Der Mundschenk erhob Einwände, aber ich blieb hartnäckig. So gab er mir einen kleinen ziselierten Silberbecher und füllte ihn mit Rotwein, und ich leerte den Becher auf einen Zug. Die Leute lachten, und dies erregte die Aufmerksamkeit meines Vaters. Er funkelte mich an, als hätte ich eine schwere Sünde begangen.
    Bald war mir schwindelig, und die schweren Samtgewänder ließen mich in der stickigen Luft der überfüllten Halle schwitzen. Das Stimmengedröhn über mir war unangenehm, und noch immer war die Königin nicht gekommen, und es hatte sich niemand um mich gekümmert. Zu gern wäre ich nach Eltham zurückgekehrt und hätte diese langweilige Feier verlassen. Wenn das ein Fest war, so hatte ich genug davon, und ich würde Arthur sein Recht, an derlei teilzunehmen, nicht neiden.
    Ich sah, dass Vater ein wenig abseits stand und mit einem seiner Kabinettsherren redete – mit Erzbischof Morton, glaube ich. Kühn vom Wein (ich zögerte sonst zumeist eher, Vater anzusprechen) beschloss ich, ihn zu fragen, ob ich nicht gehen und unverzüglich nach Eltham zurückkehren dürfe. Es gelang mir, mich unauffällig an Trauben von schwatzenden Adeligen und Höflingen vorbeizudrücken und mich ihm zu nähern. Meine so geringe Körpergröße bewirkte, dass niemand mich sah, als ich mich in der Nähe des Königs im Hintergrund hielt und, halb in den Falten der Wandbehänge verborgen, darauf
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