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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII.
Autoren: Margaret George
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empfindsam genug. Das hatte der König gesagt.
    Stattdessen verließ ich, als ich nicht mehr zitterte und jede Andeutung von Tränen niedergekämpft hatte, mein Versteck, wanderte unter den versammelten Edlen umher und sprach kühn mit jedem, der mir begegnete. Dies gab später Anlass zu mancherlei Bemerkung.
    Ich darf nicht heucheln. Ein Prinz zu sein, war manchmal gut. Nicht in materiellem Sinn, wie die Leute es sich denken. Die Söhne des Adels lebten in größerem Luxus als wir; wir standen am unteren Ende der königlichen »Hauswirtschaft« und lebten und schliefen in spartanischen Unterkünften, wie gute Soldaten. Gewiss, wir wohnten in Schlössern, und dieses Wort beschwört Vorstellungen von Luxus und Schönheit herauf – was ich mir zu einem Teil als Verdienst anrechnen muss, denn ich habe in meiner eigenen Regierungszeit hart dafür gearbeitet, es wahr werden zu lassen –, aber in meiner Kindheit war das anders. Die Schlösser waren Überbleibsel aus einer früheren Ära – romantisch vielleicht, und durchtränkt von Geschichte (hier wurden Edwards Söhne ermordet; hier legte Edward II . seine Krone ab), aber sie waren entschieden unbehaglich: dunkel und kalt.
    Besonders abenteuerlich war es auch nicht. Vater ging nicht oft auf Reisen, und wenn er es tat, ließ er uns zu Hause. Die ersten zehn Jahre meines Lebens verbrachte ich fast ausschließlich innerhalb der Palastmauern von Eltham. Einen Blick auf irgendetwas außerhalb Gelegenes zu werfen, war uns praktisch verboten. Vorgeblich geschah dies zu unserem Schutz. Aber es war, als hausten wir in einem Kloster. Kein Mönch führte ein so karges, so eingeschränktes, so langweiliges Leben wie ich in diesen ersten zehn Jahren.
    Und das war nur recht so, da Vater ja beschlossen hatte, dass ich Priester werden müsse, wenn ich groß wäre. Arthur würde König sein. Ich, der zweitgeborene Sohn, musste Kirchenmann werden und meine Kräfte in Gottes Dienst stellen, statt sie darauf zu verwenden, die Stellung meines Bruders zu erobern. Und so erhielt ich, kaum dass ich vier Jahre alt war, meine kirchliche Ausbildung von einer Anzahl Priestern mit traurigen Augen.
    Aber dennoch, es war gut, ein Prinz zu sein. Die Gründe dafür sind schwer fasslich, und es ist mir fast unmöglich, sie zu Papier zu bringen. Um die Geschichte zu vervollständigen, soll es geschehen. Ein Prinz sein, das bedeutete – etwas Besonderes sein. Wissen, dass man, las man etwa die Geschichte von Edward dem Bekenner oder Richard Löwenherz, durch mystische Blutsbande mit ihnen verknüpft war. Das war alles. Aber es war genug. Genug für mich, während ich endlose lateinische Gebete auswendig lernte. Ich hatte das Blut von Königen in mir! Sicher, es war verborgen unter schäbigen Gewändern, und ich würde es niemals weitergeben, aber es war nichtsdestoweniger da – wie ein Feuer, an dem ich mich wärmen konnte.

II
    E s hätte niemals auf diese Weise beginnen dürfen. Diese durcheinander gewürfelten Gedanken können nicht einmal als passable Sammlung von Eindrücken gelten, und schon gar nicht als Memoiren. Ich muss die Dinge in eine vernünftige Ordnung bringen. Wolsey hat mich das gelehrt: Alles braucht seine Ordnung. Habe ich das so rasch vergessen?
    Ich habe damit (mit diesen Aufzeichnungen, meine ich) vor einigen Wochen begonnen, und zwar in dem vergeblichen Bestreben, mir Linderung zu verschaffen, derweil ich einen neuerlichen Anfall von Schmerzen in meinem verfluchten Bein zu erleiden hatte. Vielleicht hat diese Pein mich so sehr abgelenkt, dass ich außerstande war, meine Gedanken zu ordnen. Aber jetzt sind die Schmerzen vorbei. Wenn ich dies nun tun soll, muss ich es richtig tun. Ich habe von »Vater« gesprochen, vom »König« und von »Arthur«, ohne ein einziges Mal zu erwähnen, wie der König hieß. Oder zu welcher Herrscherfamilie er gehörte. Oder in welche Zeit. Unverzeihlich!
    Der König war Heinrich VII . aus dem Hause Tudor. Aber ich darf gar nicht so großartig vom »Hause Tudor« sprechen, denn bevor Vater König wurde, war es überhaupt kein Königshaus. Die Tudors waren eine walisische Familie und (seien wir ehrlich) walisische Abenteurer noch dazu, die sich vor allem mit romantischen Abenteuern im Bett und in der Schlacht voranzubringen trachteten.
    Mir ist sehr wohl bekannt, dass Vaters Genealogen die Tudors bis in die Morgendämmerung der britischen Geschichte zurückverfolgt haben und uns in direkter Linie von Cadwaller abstammen lassen. Aber den ersten
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