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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
Autoren: Mary Bauermeister
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die dieser vom Krieg traumatisierte ehemalige Soldat auf die Bilder geschrieben hatte. Es war sehr erschütternd. Hans G Helms las Texte von James Joyce, Arno Holz und Edgar Allan Poe. Cornelius Cardew und David Behrman spielten am Klavier Stücke von Morton Feldman und John Cage. Im Atelier und im Treppenhaus waren Bilder und Partiturseiten ausgestellt.
    Das Atelier war an diesem Abend brechend voll. Stockhausens waren auch gekommen. Es ging bis spät in die Nacht. Zum Abschied sagte Stockhausen: »Alle Achtung!« Ja, das konnte ich annehmen. Seit diesem Abend duzten wir uns, Doris, Karlheinz und ich.
    Drei Monate später, im Juni 1960, trafen wir uns sehr oft. Die Internationale Gesellschaft für Neue Musik, genannt IGNM , hielt ihr 34. Weltmusikfest in Köln ab. Die Weltpresse war anwesend, Musikinteressierte, Konzertveranstalter, aber auch Kunstkritiker und Künstler aller Genres waren von weit her, zum Teil auch aus dem Ausland, angereist, um dieses Musikfest mitzuerleben. Wer hier im Zentrum der musikalischen Avantgarde bestand, hatte seine Eintrittskarte in den inneren Zirkel derer erworben, die über Jahrzehnte das Musikleben bestimmen würden.
    So blickten die Kritiker besonders aufmerksam auf den Höhepunkt des Musikfestes, den Abend mit drei Uraufführungen: Stockhausens Kontakte , Mauricio Kagels Anagrama und Luigi Nonos Cori di Didone standen auf dem Programm . Die drei Komponisten waren zu der Zeit noch sehr eng befreundet, hatten sie sich doch in ihrer schwierigen Anfangszeit gegenseitig beraten und unterstützt. Die drei hatten bis kurz vor der Uraufführung noch an der Perfektionierung ihrer Werke gefeilt.
    Schon bei der Generalprobe war der große Sendesaal des WDR besetzt mit Privilegierten aus aller Welt, die in den Genuss beider Konzerte, der Probe und der Uraufführung, kommen wollten. Das Dargebotene war so neu, den noch ungeübten Ohren so fremd, dass das mehrmalige Hören geradezu notwendig war, um es musikalisch zu erfassen. Im Übrigen wurde die ganze Woche über ein hochkarätiges Programm geboten. Der WDR hatte keine Mittel gescheut, hatte die besten Interpreten und Orchester engagiert. Die Zuhörer kamen voll auf ihre Kosten.
    Anagrama erntete an dem Abend den meisten Applaus. Kagels spätere Spezialität, das musikalische Theater, zeichnete sich hier bereits ab. Nono verarbeitete in Cori di Didone Texte von Giuseppe Ungaretti . Für Nono hatte Musik eine politisch-soziale Aufklärung zu betreiben. Auch dafür fand er seine Anhänger.
    Und auf das neue Werk Stockhausens war man nun besonders gespannt. Er galt mittlerweile als der wesentlichste Neuerer, sein Name war schon fast zum Synonym für Elektronik geworden. Mit Kontakte wollte er eine Art Klangmetamorphose erzeugen, eine Verschmelzung instrumentaler und elektronischer Klänge, Erstere gespielt von Instrumentalisten, Letztere erzeugt mit Hilfe eines Impulsgenerators. Das Publikum reagierte zweigeteilt: Auf der einen Seite gab es laute Buhrufe, auf der anderen frenetischen Beifall. Zu den Klatschenden zählte auch ich, hatte mich diese Musik doch wieder in die höchsten Höhen meiner Wahrnehmung geführt, meine Fantasie beflügelt, zu eigenen Ideen angespornt, wie schon so oft zuvor, wenn ich am Radio den musikalischen Nachtprogrammen gelauscht hatte. Ich fand mich noch Beifall klatschend, als alle anderen im Saal schon wieder ruhig waren.
    Noch in der Nacht schrieb ich in mein Tagebuch: »Das ist gegenstandslose Musik, bedarf einer sehr hohen Auffassungsgabe, es gibt nichts Bekanntes, an das man sich halten oder anlehnen kann. Man muss sich selber total neu erschaffen, alle Konzepte, Erwartungen fahrenlassen. Das gelingt am besten mit geschlossenen Augen. Auf der Bühne passiert wenig. Für Kontakte ist die normale Konzertsaalbestuhlung total falsch, man müsste im Kreis sitzen, in abgedunkeltem Raum, nur den Tönen, Klängen und Geräuschen lauschen. Auch ein Programmheft mit Erklärungen ist fehl am Platz. Hier kann man üben, die Welt mit unverbrauchten Ohren zu hören. Welch kosmische Weite eröffnet sich, wenn man die Klangfigur erlebt vom Ton im oberen Spektrum, der sich wie im Vogelflug herunterschwingt, sich in Einzelimpulse auflöst, die sich dann verlängern, bis jeder Ton sich wieder so dehnt, dass er zur Fläche wird.«
    Ich verließ anschließend ziemlich schnell das Funkhaus, weil ich jetzt ein Kunstobjekt fertigzustellen hatte, das ich noch am selben Abend bei einem Empfang mit Feuerwerk zu Ehren der drei Komponisten
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