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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
Autoren: Mary Bauermeister
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gefährliche Spontanität und seinen wilden körperlichen Einsatz konnten andere nur schwer verstehen. Er bezog immer weitere Erlebnisebenen mit ein, erfüllte nie Erwartungen. Er wollte das Bewusstsein für Kunst verändern. Mir fiel dazu Haydns Sinfonie mit dem Paukenschlag ein, man konnte Paiks Attacken ebenfalls als Weckrufe ans schlafende Publikum verstehen. Aber bei uns schlief eigentlich niemand, wer kam, wusste, dass Ungewohntes geboten werden würde.
    Stockhausen besuchte alle unsere Vorführungen. Er hatte sich schon länger für John Cage eingesetzt, etwa beim damaligen Leiter der Darmstädter Ferienkurse, Wolfgang Steinecke, bei dem er hohes Ansehen genoss. Die beiden berieten sich stets über das Programm des kommenden Jahres, so konnte Stockhausen Cage und Tudor immer wieder als Lehrer für Darmstadt nominieren. Er vermittelte Cage auch seine ersten Konzerte im WDR .
    Im Atelier führten wir als Erste in Europa auch La Monte Young auf. Stockhausen hatte den jungen Amerikaner schon 1959 in Darmstadt ermutigt, seinen eigenen Weg zu gehen. Er war bei den Ferienkursen sein Schüler gewesen und hatte ihm ein Stück gezeigt, das von seinem Lehrer in den USA stark kritisiert worden war. Karlheinz fand es gut und riet ihm, genau dort weiterzuarbeiten, sich nur nicht abhängig zu machen von Lehrern und ihren Meinungen. Beide hatten über den darin liegenden Widerspruch lachen müssen, falls La Monte sich nun an gerade diesen Rat hielte.
    Stockhausen war also auf unserer Seite. So hatte er auch seinen Freund Ernst Brücher auf das kühne sprachexperimentelle Buch von Hans G Helms aufmerksam gemacht, das daraufhin – mit beigefügter Schallplatte einer Lesung, damals eine absolute Neuheit – bei DuMont verlegt wurde. Er war interessiert an allem, was das Atelier bot. Nun konnte er mich auch von einer anderen Warte sehen. Ich war nicht mehr nur eine Frau, die er erobern wollte, ich war für ihn eine Freundin in der Kunst geworden.

2
Die sieben Tage
    Zum Jahreswechsel 1960/61 besuchte ich Benno, der seit Oktober in Paris lebte, und traf einige Leute, die ich für Ausstellungen und Konzerte gewinnen wollte: Daniel Spoerri und Gottfried Honegger, die Musiker Luc Ferrari und François Bayle aus der Pariser Gruppe Musique concrète . Nach der Rückkehr begann ich mit der Jahresplanung fürs Atelier. Mir schwebte als Nächstes ein Konzert mit Ausstellung unter dem Titel Grafische Notation vor. Kagel und Bussotti hatten schon zugesagt. Ich wollte auch Stockhausen zur Mitarbeit gewinnen und rief ihn mit der Bitte an, mir Partituren dafür zu leihen, die ich an die Wand hängen wollte, beispielsweise von seinen Werken Refrain und Zyklus . Er entgegnete entrüstet: »Ich bin doch kein Tapezierer.« Seine Partituren seien nicht zu Dekorationszwecken geschaffen. Er war gekränkt, riet mir gar, mir doch diesen gerade laufenden Film anzusehen, in dem eine Motorradbraut vorkomme, die so hart und kalt sei wie ich.
    Mit dieser Provokation hatte er mich empfindlich getroffen, und ich konnte meine Gefühle nicht beherrschen. Ich heulte ins Telefon. Es brach aus mir heraus, meine Hand krampfte sich um den Hörer. Hätte er neben mir gestanden, ich hätte ihm widerstehen können, aber das Telefon, das uns körperlich auf gebührendem Abstand hielt, brach den selbst verhängten Bann. Warum legte ich nicht einfach auf? Wollte mein Unterbewusstes, dass ich alle guten Vorsätze vergaß?
    Stockhausen stellte fest: »Du weinst? Dann liebst du mich also!« Ich legte auf, Leitung tot, Stille. Entsetzlich. Aber auch beglückend. Ich hatte die Kontrolle über mich verloren. Weinte und weinte alle verdrängten Tränen, war ein einziges Gewirr aus widersprüchlichen Empfindungen, und mein ganzes Gebäude aus Vorsätzen, Vorstellungen, Plänen und Idealen stürzte wie ein Kartenhaus zusammen. Stockhausen wusste es jetzt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Gewässer der Gefühle die Mauern ausgehöhlt haben würden, die ich aufgerichtet hatte, um meine Ideale zu schützen.
    Mit diesem Zugeständnis, dass auch ich liebte, dass ich verletzbar war durch den anderen, dem ich mich öffnete, nahm mein Leben einen anderen Lauf. Immer weniger bestimmten nun Pläne und Konzepte mein Tun oder Fühlen, Wollen oder Denken. Immer mehr überließ ich mich diesem gewaltigen Trieb der Natur, des Lebens, der Schöpfung. Dem Unkontrollierbaren, dem Chaos. In mir war alles eine einzige Turbulenz.
    Ich fand mich immer noch auf dem Boden hockend neben dem
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