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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
Autoren: Mary Bauermeister
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Grafiken und Pastellen. Für das Anmieten von achtzig geliehenen Hockern fand sich ein Gönner. Für einige Künstler wurde das Atelier sogar zum Schlafraum, ein abgetrenntes Zimmer voller Matratzen stand bereit.
    Wir versuchten, das, was es sonst in Köln gab, zu ergänzen. Das Desaster 1958 im Kleinen Sendesaal des WDR war uns in Erinnerung, als die interpretierenden Instrumentalisten John Cages Ansatz weder verstanden noch verstehen wollten: Sie trieben schlicht Unfug, klapperten mit Schlüsseln und Sonstigem und boykottierten damit jede Auseinandersetzung mit Cages Werk. Umso mehr bemühten wir uns nun darum. David Tudor, der beste Interpret von Cages Musik, brachte uns auch Partituren anderer, noch weniger bekannter Musiker aus den USA mit, machte uns mit Christian Wolff, Morton Feldman und avantgardistischen Japanern bekannt. Alle Kompositionen wurden lustvoll interpretiert und frei variiert, die Vorgaben mit Klängen, Geräuschen und Sprachfetzen in neue Zusammenhänge gebracht. Wir hatten dazu im Treppenhaus und im Atelier Bildwerke ausgestellt, im Flur und in einer Vitrine sah man filigran gemalte Notenblätter von Bussotti sowie Par titurseiten von Cage, Cardew und Kagel. Die wurden dann auch als Sprachkompositionen gesungen. Bei den Klavierstücken wurden nicht nur die Tasten bespielt, sondern auch die Saiten gezupft und das Gehäuse beklopft, es wurde auf Pfeifen und Kindertrompeten geblasen, mit Radios, Holzstöcken, Staffeleien, Kerzen hantiert und klanglich experimentiert. Es waren Grenzüberschreitungen in jeder Hinsicht.
    Die Vorstellungen änderten sich von Abend zu Abend, es wurde frei improvisiert. Die Konzerte fanden zu Zeiten statt, zu denen keine offiziellen IGNM -Konzerte angesetzt waren, also um 15 Uhr und nach 22 Uhr, wenn die WDR -Aufführungen vorbei waren. So kamen auch einige Komponisten wie Bernd Alois Zimmermann oder Pierre Boulez, deren Werke im offiziellen Programm liefen, zu mir ins Atelier, um zu hören, was da passierte. Auch Otto Tomek vom WDR saß im Publikum, um sich Anregungen zu holen.
    Ich hatte Heinz-Klaus Metzger den Auftrag erteilt, ein Kölner Manifest zu verfassen und es an einem Abend zu verlesen, eine Schrift über die Unmöglichkeit der Manifeste, in der er sich zu John Cage bekannte und Stockhausen zu dessen ästhetischem Gegenpol erklärte. Er kritisierte Stockhausens Idee einer »geistlichen Funktion der Musik«, wie er sie mit seinem Gesang der Jünglinge verkörperte. Dieses elementare Frühwerk war für elektronische Klänge und Stimme komponiert, für die er sich vom Schlussgebet des katholischen Gottesdienstes hatte inspirieren lassen.
    Stockhausen versuchte, diese Kritik zu relativieren, indem er argumentierte: »Geistlich bedeutet nicht unbedingt kirchlich. Der Geist ist nur das Schöpferische.«
    Für Stockhausen war es schwierig, sich auf diese Spiritualität zu berufen, denn die Avantgardeszene in Europa war links, atheistisch, oft anarchistisch und sah sich in der Nachfolge von Denkern wie etwa André Gide, Sartre und Camus. Doch Stockhausen blieb seiner Haltung treu.
    Die Berichte über unsere Aktivitäten machten unter den offiziellen Teilnehmern des Festivals schnell die Runde. Es entstanden kontroverse Diskussionen. Besonders spektakulär waren die Beiträge von Nam June Paik. In meinem Atelier pflegte er das Publikum zunächst mit irgendeiner klassischen Melodie am Klavier einzulullen, besonders gern spielte er zum Beispiel Chopins Nocturne in B-Dur . Und wenn alles schwelgte im Genuss des Bekannten, Wohltuenden, Harmonischen, dann tobte er los, bearbeitete das Piano mit Kopf und Fäusten, entlockte Tasten, Gehäuse und Klangrahmen die fremdartigsten Geräusche. Wer dem folgen konnte, fühlte sich bereichert, eingeführt in einen Experimentierraum und erlebte völlig abartige, das heißt dem Klavier abartige Töne.
    Manchmal steigerte sich Paik in seinen Ausbrüchen bis ins Aggressive, attackierte die Zuhörer mit verschiedenen Gegenständen, schmiss Bohnen und Rosenkränze ins Publikum, zertrümmerte Klaviere oder warf sie um. In seinem Stück Hommage à John Cage shampoonierte er David Tudor und John Cage die Köpfe und schnitt John die Krawatte ab. Diesen Akt würde man später als Vatermord bezeichnen. Die Krawatte war ein Geschenk des Zen-Meisters Suzuki an Cage gewesen – »it had to happen, I liked it too much«, »das musste passieren, ich liebte sie zu sehr«, tröstete der sich über den Verlust hinweg und verzieh Paik. Dessen
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