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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
Autoren: Mary Bauermeister
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Mack gegründet worden war. Aber auch Arnulf Rainers Übermalungen und Christos Verpackungsvorläufer wurden im Atelier gezeigt. Bald stießen Architekten, Designer und Fotografen dazu. Der in Köln lebende Schriftsteller Hans G Helms bereicherte das Programm, indem er aus seinem gerade erschienenen Buch Fa:m’ Ahniesgwow las und uns weitere Literaten brachte. Der damals dreißigjährige Heinz-Klaus Metzger, der zu einem der bedeutendsten Musikkritiker und Theoretiker der Neuen Musik avancieren würde, war für die Themen Philosophie und Musikwissenschaft zuständig.
    Das Programm des Ateliers war also eine Mischung aus Absurdem und Konstruiertem, aus Gedachtem und Gefundenem, aus Entdecktem und Erfundenem. Es war meine Idee gewesen, die Künste zu verbinden. Wir kamen aus allen Sparten: Musiker, Bildhauer, Maler, Schriftsteller. Und alle waren wir bewegt von einer ähnlichen Fühl- und Denkweise, drückten unsere Impulse nur auf unterschiedliche Art, jeder in seiner Kunst aus. Die war sehr experimentell und huldigte nicht dem Bestehenden. Das war für uns die einzige Möglichkeit nach dem Scherbenhaufen, den der Krieg hinterlassen hatte, nachdem alles zertrümmert und vernichtet war – Häuser, Museen, Bücher, weltanschauliche Systeme, kulturelle Werte. Übrig blieben nur Ziegelsteine, von denen man den Mörtel abklopfte und versuchte, sich daraus etwas Neues zu bauen. Ich sah darin auch einen der Gründe für die Entstehung der Art informel : Alles nur Gebrösel, »Urstruktur«, man traute keiner Form und keiner Aussage mehr – Neubeginn mit und aus Staub und Asche.
    Mit unserer Radikalität bei der Auswahl der Künstler, die wir akzeptierten und unterstützten, haben wir sicher andere, gemäßigtere oder auch nur den Schemata unserer Beurteilung nicht entsprechende übergangen, gar vor den Kopf gestoßen. Da gab es ja eine Generation vor uns, ehrliche und unabhängige Geister, die aus dem Krieg heimgekehrt waren und nun hofften, ihre Arbeit – »entartete Kunst« war sie genannt worden während des »Dritten Reichs« – wiederaufnehmen zu können. Die Komponisten Bernd Alois Zimmermann und Ernst Krenek, die Maler Georg Meistermann und Ernst Wilhelm Nay seien hier nur als Beispiele für diese Generation genannt. Nun trafen sie auf uns, aber weder verehrten wir sie als Lehrer, noch fanden wir ihre Beiträge von irgendeinem Interesse. Und dann reüssierten wir gar noch, die Presse verfolgte unser Tun, und selbst wenn Kritiken negativ ausfielen, war zumindest die Aufmerksamkeit auf unserer Seite. Die Rundfunksender führten die Werke der jüngeren Komponisten auf, Ausstellungskuratoren waren stets auf der Suche nach Ausgefallenem, noch nicht Dagewesenem. Manches verschwand im Lauf der nächsten Jahrzehnte wieder, und sicher wird noch einiges mehr dieses Schicksal ereilen, aber damals war das noch nicht abzusehen, und die Vernachlässigten waren bitter mit der Gleichgültigkeit konfrontiert, die viele ihren Werken gegenüber empfanden. Hindemith war eine rühmliche Ausnahme, an ihn wurde noch angeknüpft, aber Zimmermann wählte am Ende den Freitod.
    Stockhausen, Gottfried Michael Koenig und Henri Pousseur waren zutiefst betroffen, als sie von Zimmermanns Tod erfuhren. Ob ihnen die Problematik bis dahin nicht bewusst gewesen war? Mir erklärt sich dadurch auch der Wandel, den Stockhausen im Lauf der Jahre in Bezug auf Hans Werner Henze vollzog. War Henze beziehungsweise Eimerts Begeisterung für ihn der Streitpunkt gewesen, an dem sogar die Freundschaft der beiden zerbrach, so verteidigte Stockhausen in späteren Jahren selbst Henze in einem Leserbrief, als dessen Werk in einer Zeitung einmal auf übelste Weise verrissen worden war.
    Fast alle, die da in meinem Atelier zusammenkamen, waren von einem sprühenden Ideenreichtum. Geld hatten wir kaum. »Unsere bewusstseinserweiternde Droge war der Hunger«, pflege ich heute noch zu antworten, wenn ich gefragt werde, ob wir damals Drogen genommen hätten. Aber wir haben uns gegenseitig mächtig inspiriert. Wir wollten die Welt verändern. Und mit unseren Aktionen griffen wir der Fluxus-Bewegung voraus, die erst 1962 durch den amerikanischen Künstler George Maciunas ihren Namen bekommen sollte.
    Köln war voller interessanter Menschen, und so stand bald das erste Programm fest. Es trug den Titel Musik-Texte-Malerei-Architektur . Am 26. März 1960 zur Ateliereröffnung stellte ich unter anderem zwölf Zeichnungen eines Schizophrenen aus, und wir verlasen die Texte,
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