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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
Autoren: Mary Bauermeister
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künstlerisch einen völligen Neuanfang geben. Die blinde Verehrung der Klassiker versperrte dabei nur den Weg, auch an die frühe Moderne war kein Anschluss möglich, allenfalls konnte man sich ihren Aufbruchsgeist, ihren revolutionären Elan zum Vorbild nehmen.
    Schon während der Schulzeit hatte ich begonnen, mich außer für moderne Malerei für zeitgenössische Musik zu begeistern. Ich hatte mich in der Oberprima zum Beispiel in einem Aufsatz über die Moderne mit Schönbergs Zwölftonmusik befasst und verfolgte alles, was es an neuer Musik gab, mit größtem Interesse. Ich fragte mich oft, warum ich nicht Musikerin geworden war. War es die Klavierlehrerin, die mich nur Dur-Stücke üben ließ? Sie sagte, für die Moll-Stücke, die ich so liebte, sei ich zu jung, und mir Jazz beizubringen, lehnte sie erst recht ab. Mich reizten beim Jazz die Rhythmen, so wie mich als Kind die tanzenden Zigeuner fasziniert hatten, die mit der Fidel am Kinn den Takt mit den Füßen sprangen. Dagegen nun die fade Lehrerin mit ihrem Taktstöckchen … Mit siebzehn hatte ich aufgehört, selbst ein Instrument zu spielen, aber Musik war mir weiterhin wie Nahrung, ich brauchte sie wie das tägliche Brot.
    Die elektronische Musik hatte es mir besonders angetan. Ich war aus den Nachtprogrammen des Radios mit den frühen Werken von Herbert Eimert, Gottfried Michael Koenig und Karlheinz Stockhausen vertraut, glaubte aber, diese Komponisten seien alle ältere Herren. Als ich nun eines Abends mit Benno in einem Musik-der-Zeit -Konzert saß, sah ich plötzlich den jungen Mann, dem ich auf der Hohe Straße fast verfallen wäre, auf die Bühne steigen. Es war der Komponist Karlheinz Stockhausen, dessen Werke ich so bewunderte! Nun war es doppelt um mich geschehen, musikalisch und, ja, erotisch.
    Nach dem Konzert gingen wir wie üblich in ein Restaurant. Am Nebentisch saß Stockhausen mit seinen Kollegen. Einer davon war Cornelius Cardew, ein englischer Komponist und Pianist, der später Stockhausens Assistent bei der Ausarbeitung des Werks Carré wurde. Ihn kannten wir aus dem Café Campi, er kam zu uns herüber und bat uns an den Tisch der Musiker. Wir wurden allen vorgestellt, auch Stockhausen. Unsere Blicke trafen sich wieder, auch er erkannte mich. Doch ich würde ihn keinesfalls merken lassen, wie es um mich stand. Dem Zug, dem geradezu empfundenen Sog zu ihm nachzugeben, war mir undenkbar, zumal ich nun auch mit seiner Frau Doris bekannt gemacht wurde. Eine Ehe wollte ich niemals stören, das hatte ich mir geschworen.
    In der folgenden Zeit begegneten Stockhausen und ich uns immer wieder bei Konzerten und anderen Anlässen. Jedes Mal pochte mein Herz wie wild, aber ich konnte es verbergen. Bei einem Konzert in Düsseldorf 1958 machte er mir Avancen und Komplimente. Ich sagte knapp: »Sie unterschätzen meine Beziehung zu Benno«, riss mich von ihm los und flüchtete in die Garderobe, um dort zitternd vor Aufregung zu weinen. Ich ahnte, dass ich nicht ewig standhaft sein würde. Aber noch gab ich mich der Illusion hin, dass ich die stürmischen Gefühle in mir im Platonischen würde belassen können.
    Benno, Cornelius Cardew und ich trampten im Oktober 1959 zu einer Aufführung von Stockhausens Refrain nach Berlin. Nach dem Konzert begegnete man sich wie meistens im Restaurant wieder. Wir hatten aber nur gerade genug Geld, um die Übernachtung zu bezahlen – für zehn Mark ließ uns eine Zimmervermieterin alle drei in einem Raum mit zwei Betten und einem Sofa schlafen. Fürs Essen im Restaurant reichte es nicht mehr. So saßen wir mit den speisenden Musikern am Tisch. Stockhausen schenkte uns Wein ein, und wir behaupteten, nicht hungrig zu sein. An Alkohol, gar noch auf leeren Magen, nicht gewöhnt, war ich im Nu beschwipst und begann, an einem Blumenstrauß zu knabbern. Irgendwie half mir das wenigstens über meine verheimlichten Gefühle für Stockhausen hinweg. Ich weiß nicht mehr, wie es dazu kam, aber er berührte mit seinen beiden Mittelfingern meine Hände, und es fuhr wie ein Stromschlag durch mich. Ich ging hinaus, die Oktoberluft kühlte mich ab, und Cornelius war dann so nett, mich in die nahe Pension zu begleiten, ehe er zu den anderen zurückkehrte. In mir aber herrschte Aufruhr.
    Ich wusste, dass ich meine Beziehung zu Benno nicht mehr lange würde aufrechterhalten können, einem Mann, den ich nicht mehr liebte und dessen Wutanfälle immer schlimmere Ausmaße annahmen. In unserer kleinen Atelierwohnung hatte er bereits alle
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