Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
noch auf meinem Schreibtisch. Zwei Sekunden lang hört sie zu, dann ist das Stirnrunzeln wieder da. »Sag dem Holzkopf, der das gemacht hat, wir brauchen das noch mal von der Buchhaltung zurück.« Und dann geht sie mit heftig wippendem Pferdeschwanz davon.
»Sehe ich da einen Silberstreif über der Wolke?«, fragt Shaheena.
7
F ür Mittwochabend ist ein großes Essen angesetzt, ein weiterer Markstein in der endlosen Folge von gesellschaftlichen Ereignissen bei Forwood Television. Eine (unverkennbar von Paul herbeigeträumte und realisierte) neue Serie ist gerade gelaufen und hat für einigen Wirbel gesorgt. Inside-Out ist eine im Stil von Reality-TV gemachte Dokumentation über Gerry Bonacorsi, der vor dreißig Jahren seine Frau erdrosselt hat. Es heißt, er habe sie nicht mehr ertragen. Dass sich überhaupt noch jemand an Bonacorsi erinnert, ist allein darauf zurückzuführen, dass er nie auch nur das geringste Bedauern bekundet hat und deswegen auch nicht entlassen wurde. Ihm gebührt die Ehre, Großbritanniens dienstältester Häftling mit dem Urteil »lebenslänglich« zu sein. Inzwischen ist er siebzig, und der Bewährungsausschuss hat dem Team von Inside-Out gestattet, sowohl während der Anhörungen als auch in dem Gefängnis, in dem Bonacorsi eingesessen hat, zu filmen. Damit soll gezeigt werden, wie darüber entschieden wird, ob ein Häftling entlassen wird oder nicht. Als wir anfingen, die Serie zu produzieren, wussten wir nicht, ob er rauskommen würde. Nun ist er vor einem Monat auf freien Fuß gesetzt worden. Meiner Meinung nach hätte er bis zu seinem letzten Stündchen dort vor sich hin rotten müssen, aber was soll’s, ich bin nur eine Ehefrau und Durchschnittsbürgerin, was habe ich schon zu melden? Paul meint, ich lasse mich zu sehr von der Klatschpresse beeinflussen, worauf ich erwidere, dass die meisten Leute sich nur so lange liberal geben, wie sie nicht selbst von einem Gewaltverbrechen betroffen sind.
Heute Abend dreht sich also alles um Morde und Mojitos; ich weiß nicht, ob sie den Mix hinkriegen. Pauls persönlicher Assistent, Sergei, hat die derzeit angesagteste Location der Stadt angemietet und ein Essen für ungefähr hundertfünfzig Leute organisiert. Für die Angestellten eine schöne Gelegenheit zu kungeln, Nabelschau zu betreiben und sich auf Kosten anderer die Kante zu geben. Wichtig ist der Abend, weil der Gründer von CPTV, Raiph Spencer, die Absicht hegt, zusammen mit ein paar anderen hohen Tieren vorbeizuschauen. Da will Paul Eindruck schinden. Ich habe mir ein neues Kleid gekauft und war beim Friseur. Mein Haar glänzt und ist so geföhnt, dass es jede Kopfbewegung in einer weichen Welle mitvollzieht.
»Wie findet ihr mich?« Ich stolziere, den weiten Rock des neuen Kleides schwingend, vor Ava und Luciana auf und ab. Ava sitzt auf Lucianas Schoß, und Luciana kämmt sie. Sie kichern und stecken die Köpfe zusammen. Luciana ist das brasilianische Au-pair-Mädchen von Freunden von uns. Wenn sie Zeit hat, springt sie bei uns als Babysitter ein. Sie ist ganz vernarrt in Ava und spielt stundenlang mit ihr – mit den Puppen oder »Schule«. Josh nutzt diese Zeit gern, um ungestört fernzusehen.
»Ach, die Mami ist wunderschön, was?«, sagt Luciana und sieht Ava an.
»Du siehst lustig aus, Mami«, erklärt Ava.
»Und das sagt ein Mädchen, das Gelb und Knallrot und Dunkelrot zusammen trägt«, gebe ich zurück. Ava steckt in einem Alice-im-Wunderland -Kostüm. Sie bohrt in der Nase, und ihre großen Augen fixieren mich, während ihr Kopf vom Kamm zurückgezogen wird und wieder vorschnellt wie bei einem Tango. Josh hebt nicht einmal den Blick vom Fernseher.
»Die Farbe ist toll für dich«, sagt Luciana. »Paul kann stolz darauf sein, dich heute an seiner Seite zu haben.«
»Wow.« Das macht mich verlegen. Ich kichere.
Luciana hebt die schmalen Schultern und spreizt die Hände. »Paul ist ein attraktiver Mann. Du musst schön bleiben, sonst …« Sie lässt die Hände sinken und lehnt sich wieder zurück. »Ansonsten sind die Männer alle gleich.« Luciana ist knapp siebenundzwanzig. Wie eine so junge und schöne Frau dazu kommt, sich so zynisch über Männer auszulassen, ist mir unbegreiflich.
»Du hast mit allem recht … nehme ich an«, sage ich und muss lächeln. »Nehmt euch aus dem Kühlschrank, was ihr braucht. Und sie sollten nicht zu spät einschlafen.« Luciana nickt. Das hört sie sich jedes Mal an, wenn ich aufbreche. Mein Handy klingelt, das Taxi ist da.
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