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Ich habe die Unschuld kotzen sehen

Titel: Ich habe die Unschuld kotzen sehen
Autoren: Dirk Bernemann
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Absprache – aufeinander.  
    Und plötzlich ist es Nacht und wir sitzen noch im Keller und trinken was. Planen weitere Aktivitäten.  
    Ein erster LiveAuftritt im Jugendzentrum ist das Thema. Einzig und allein völlig gegen diese kultur bereichernde Maßnahme ist Luisa. Scheiß potentiel les Publikum, meint Luisa. Hat wahrscheinlich Recht.  
    Aber die Gute wird demokratisch überstimmt und somit steht die Entscheidung, da mal mit un serem Bandkonzept aufzutreten. Wir sind alle mal geil drauf, unseren Sound auf die Öffentlichkeit los zulassen und sei das Forum noch so klein.  
     
    War auch kein großartig bürokratischer Akt. Ich nahm das in die Hand. Es bedurfte zweier Besuche und dreier Telefonate und der Gig stand.  
    Sogar mit Gage und den ganzen Abend frei saufen.  
    Perfekter konnte doch Vororganisation gar nicht laufen, dachte ich.  
     
    Der Veranstalter, also dieser simple Jugendclub, bewarb dieses angehende Spektakel genauso heftig wie wir als Band selbst. Gedruckte Flugblätter mit unserem Bandnamen. Schwarzweiß. Ein Foto der nackten Franzi drauf, wie sie so ganz obszön dasteht, als wolle sie sagen: Männliche Besucher dürfen nach dem Gig die Band ficken. Für umsonst!  
    Sie will so was aber nicht sagen. Würde sie nie. Eher würde sie sterben. Aber ich interpretiere dieses Foto auf diese Weise. Auf jeden Fall war es eine Provokation in unserem Sinne.
     
    Lokale Presse interessierte auf einmal, was die jungen Frauen auf dem Land so für Kultur schaffen.  
    Der gaben wir ein böses, sexistisches, gewaltverherrlichendes Interview. Das ließ den Mann von der Zeitung völlig sprachlos und uns lachend zurück. Das Interview wurde abgedruckt, jedoch in krass zensierter Form, so, dass wir unsere Aussagen nicht wiedererkannten.
     
    Aber das war uns egal, wir waren mittlerweile alle geil darauf, unsere Mucke live auf die Bühne zu bringen – sei das Publikum noch so unreif und zahlenmäßig sogar der Band unterlegen.
    Damit rechneten wir natürlich, was uns aber zusammenschweißte und irgendwie mit Stärke und dem Gefühl, erhaben zu sein, beglückte.
     
    Am Auftrittstag trafen wir uns vier Stunden vor Auftrittsbeginn zum Aufbauen und Soundcheck. Eva war die letzte, die auftauchte. Sie sah scheiße aus, hatte wohl grade wieder ‘ne Kotzorgie hinter sich. Sagte nix, schaute nur. Später erzählte sie, ihr Ex hätte sie angerufen und sie ernsthaft bedroht.  
    Bei ausbleibender Rückkehr zu ihm wolle er ein paar fiese Schläger auf den Weg zu Evchen schicken. Emotional würde sie das sehr beanspruchen. Angst, sagt sie, hat sie vor ihrem Leben. Und auch um ihr Leben. Die Arme.  
     
    Das Mixing übernahmen wir selbst, hatte auch keiner von den extrem sozialen Sozialpädagogen («Ey du, klasse ey, ‘ne Mädchenband»), die uns das riesige Mischpult hingestellt hatten, Ahnung von.  
    Als der Sound soweit stand, verpissten wir uns zum Saufen hinter die alte Halle. Franzi hatte so ‘n paar krasse Drinks dabei. So welche, die im Bauch weh tun und die Gedanken vom eigentlichen Leben ablenken. Wir tranken uns die Nervösität aus den Leibern.  
    Wirkt. Schmeckt nicht. Egal. Evchen und Luisa hatten die ganze Zeit was zu regeln, wo wir zwei anderen nicht so hinter kamen. Egal. Wir sind alle vier mächtig gut befreundet und mir persönlich ist egal, wenn sich mal zwei abkapseln. Evchen hatte Probleme, das konnte man ihrer Art zu sprechen anhören und ihren Gesten ansehen. Gesten und Geräusche, wenn ich mich nicht täusche.  
      
    22.34 Uhr. Showtime, Ladies.
    Dann standen wir auf der Bühne, vor mehr erwartungsvollen Augen, als uns lieb war. Der Laden war megavoll.
    Ein überwiegend männliches, er schreckend aufmerksames Publikum. Irgendwie wa ren wir alle ziemlich angetrunken, als Luisa die ersten Takte von My Love is a Nazi-War völlig versaute. Sie spielte die falschen Akkorde und sang total unverständlich. Auch Franzis Bassgezeter passte in keinster Weise mit dem von mir ange stimmten Takt zusammen.  
    «Kacke!», dachte ich – leider laut ins Mikrophon, das neben dem Schlagzeug stand und natürlich aktiviert war. Direkt vor der Bühne bekamen zwei so Kulturfetischisten ‘nen völligen Lachflash wegen dem kaputten Auftakt und ich ‘nen riesen Hass auf die beiden. Plötzlich lachte ‘ne ganze Hand voll Leute, angesteckt von denen, die vor her lachten und die ansteckend, die noch nicht lach ten.  
    Mir war diese Situation megapeinlich, versteckte mich hinter den Becken des DrumKits.
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