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Ich habe abgeschworen

Ich habe abgeschworen

Titel: Ich habe abgeschworen
Autoren: Mina Ahadi , Sina Vogt
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nach Teheran, ließ sich scheiden und lebte dort allein. Meine Großmutter lebte bis zu ihrem Tod bei uns. Auch das war das, was von ihr als geschiedener Frau erwartet wurde.
    Meine Mutter war 15 Jahre alt, als sie mit meinem Vater verheiratet wurde. Auch sie hatte ihren zukünftigen Ehemann nie gesehen, bevor man ihr verkündete, sie werde heiraten. Auf der Hochzeitsfeier, die die beiden Familien organisiert hatten, begegnete meine Mutter ihrem Bräutigam ebenfalls noch nicht. Sie wurde nach der Feier in ein Schlafzimmer im Haus der Schwiegereltern geführt und dort allein gelassen für die Hochzeitsnacht. Dort wartete sie auf ihren Mann. Was sie erwarten würde, wusste sie nicht, aber dass es bedeutsam war, spürte sie. Ihr war gesagt worden, dass ihr Ehemann zu ihr kommen würde und dass sie für ihn bereit sein müsse. Sie wusste, dass »es« auf der großen Matratze in der Mitte des Raumes geschehen würde, die alle Blicke und Aufmerksamkeit magisch auf sich zog. Als sie mir das vor erst wenigen Jahren erzählte, meinte sie, jeder Mann hätte hereinkommen und alles mit ihr machen können – denn sie hätte ja geglaubt, es sei ihr Ehemann, und ihm willig zu sein erwarteten die Familie und Allah von ihr. Sie lachte, als sie dies erzählte, die Ungeheuerlichkeit der Situation erschien ihr im Nachhinein auf eine zynische Weise komisch. Dann ergänzte sie, dass sie meinen Vater auf ihre Art geliebt habe, dass er gut und verständnisvoll gewesen sei. Das hieß vor allem, dass er nicht gewalttätig war wie manch andere Männer.
    Es ist schon an vielen Stellen gesagt und geschrieben worden, niemand kann es wohl mehr leugnen: Im Islam ist die Frau dem Mann untertan, sie ist zunächst Eigentum ihres Vaters und dann ihres Ehemannes. Eine Frau hat ohne Vater oder Mann oder den Bruder des Mannes, wie im Fall meiner Mutter nach dem Tod meines Vaters, kein eigenes Leben. Es geht nicht nur darum, dass Frauen den Mann heiraten müssen, den sie von ihren Eltern zugewiesen bekommen, es geht darum, dass sie überhaupt heiraten müssen. Schon das ist unvereinbar mit einer Gesellschaft, die auf der Freiheit der Wahl beruht, die jedes Individuum hat.
    Mir haben deutsche Freunde erzählt, dass auch die Frauen in Deutschland noch bis zum Zweiten Weltkrieg in vielen ländlichen, traditionellen und stark von der Kirche geprägten Regionen ohne Heirat nur ein Anhängsel der Familie blieben, alte Jungfern. Eine Alternative war der Gang ins Kloster. Ein solches Leben können sie sich für sich und ihre Töchter nicht mehr vorstellen. Für die Klassenkameradinnen der Töchter, tragen diese nur ein Kopftuch, scheint es aber gut genug zu sein. Das mag hart klingen, aber mir scheint es manchmal tatsächlich so zu sein.
    Ich habe nur wenige Erinnerungen an meinen Vater. Tote werden im Iran stark idealisiert, sodass ich auch kaum etwas von meiner Mutter über ihn erfahren werde, was auf einer kritischen Sicht basiert. Er war Lehrer in unserer kleinen Dorfschule, so war ihm wie auch meiner Mutter immer wichtig, dass wir Kinder, auch die Mädchen, die Schule besuchten. Dass ich vor einem Abschluss, vor dem Abitur, verheiratet würde, musste ich nicht befürchten, auch nicht von meiner Mutter nach dem Tod meines Vaters. Die Öffnung der Schulen für Mädchen durch den Schah, der gleichzeitig das Land aussaugte und Reichtum anhäufte, während die Menschen arm blieben, hat mir den ersten Schritt auf dem Weg aus meiner traditionell vorbestimmten Rolle ermöglicht.
    Gerade deshalb kann ich immer noch schwer glauben, dass in Deutschland hingenommen wird, wenn Eltern ihre Töchter »aus religiösen Gründen« vom Sportunterricht fernhalten. In der Geschichte des 20. Jahrhunderts mussten sich Frauen das Recht auf Bewegungsfreiheit auch im Sport Schritt für Schritt erkämpfen. Frauen auf dem Fahrrad, auf dem Tennisplatz, bis hin zur neuolympischen Disziplin Frauenfußball 1996, immer ging es gegen männliche Widerstände und Vorurteile. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt nennt 2007 den Sport »gleichwertig wichtig allen anderen Schulfächern«. Also ist das Recht auf Bildung berührt, welches den Mädchen im Namen des Islam mit dem Sportunterricht verwehrt wird. Und mit welchem Argument sollten im nächsten Schritt Befreiungen von einem als »unislamisch« empfundenen Biologie-oder Geschichtsunterricht verwehrt werden?
    Jedes Jahr gab es im Iran die Feiern zum Todestag von Hussein. Dazu muss man etwas aus der Geschichte des Islam wissen, die Abspaltung
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