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Ich habe abgeschworen

Ich habe abgeschworen

Titel: Ich habe abgeschworen
Autoren: Mina Ahadi , Sina Vogt
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die mir und meiner Familie aus tiefstem Herzen den Tod wünschten, war beängstigend und wirkte wie ein heftiger Schlag in den Magen. War meine politische Arbeit wirklich wert, das Leben meiner Töchter zu gefährden?
    »Was schaust du mich so an?«, fragte Anita, und dann, als hätte sie meine Gedanken geahnt: »Ich bin stolz auf dich und deine Arbeit! Du hast geholfen, Leben von Frauen zu retten, die im Iran zum Tode verurteilt waren, nur, weil sie einen Liebhaber hatten oder ihren Vergewaltiger in Notwehr getötet haben. Das ist ein Leben unter Polizeischutz wert!« »Und ich bin stolz auf dich«, antwortete ich, »weil du das Risiko und die Einschränkungen mitträgst.« »Für ein freies Leben!«, sagte sie ernst und sah mich mit dem ganzen Pathos ihrer 17 Jahre an. Das war ihr dann aber doch zu viel, und sie lachte mich an: »Wir schaffen das.« Es tat mir gut, dass sie mich an meine Grundsätze erinnerte und daran, dass ich keinen leeren Parolen folgte, sondern aus meinem Herzen geborenen Überzeugungen. Und es tat mir weh zu sehen, wie viel von den Grausamkeiten, die Menschen Menschen antun, sie schon kannte. Denn sie ist in einem Haushalt aufgewachsen, wo die Erwachsenen fiebern, ob eine Hinrichtung doch noch ausgesetzt wird, um Gehängte weinen oder feiern, wenn ein Todesurteil umgewandelt wird.
    Gerade deshalb werde ich weiterhin alles tun, um meinen Töchtern ein Leben unter dem Kopftuch und mit Zwangsheirat zu ersparen. Denn die Opfer des politischen Islam sind schon Millionen: muslimische Frauen in aller Welt. Wir sollten anfangen, ihnen in Deutschland eine Alternative anzubieten. Für Frauen wie Männer mag es bedrohlich sein, die sichere Welt der gottgewollten Regeln zu verlassen, die das gesamte Leben von der Wiege bis zur Bahre genau vorschreiben. Zudem beinhaltet islamische Erziehung, schon Kindern zu sagen, dass jede Abweichung Sünde ist. Es ist deshalb schwer vorstellbar, wie Kinder und selbst Erwachsene daraus die Idee des freien Willens positiv besetzen sollen. Die Schreiber der Hass-E-Mails gegen mich glauben, dass sie damit etwas Gutes tun, weil ihr Hass Gottes Wille ist, und sie glauben, durch diesen Hass dem Paradies näher zu kommen. Ihr diesseitiges Leben ist ausgerichtet auf die Erlangung eines Platzes im Paradies, sie wollen der drohenden Gefahr ewiger Höllenfeuer entkommen. Um einen freien Willen zu entwickeln, muss man aber das Diesseits als Mittelpunkt nehmen, Verantwortung übernehmen wollen, dass Menschen das Leben im Hier und Jetzt gut gestalten. Deshalb habe ich Hölle und Gott, diese untrennbare Einheit, über Bord geworfen. Ich habe abgeschworen.

Der Islam meiner Kindheit im Iran
    M ein Engagement im Zentralrat der Ex-Muslime wird ebenso wie mein Engagement gegen Steinigung und Todesstrafe von meiner Analyse der politischen Situation bestimmt und davon, was der politische Islam konkret bei den Menschen, allen voran den Frauen, anrichtet. Ich greife dabei auch den deutschen Multi-Kulti-Gedanken an, wo er die klare Sicht auf eine kritische Auseinandersetzung mit einer anderen Kultur trübt.
    Jeden Menschen prägt seine kulturelle Herkunft, seine ganz persönliche Lebensgeschichte in seinem kulturellen Umfeld, also auch mich. Ich bin in einer islamischen Kultur groß geworden. Unter der Diktatur des Schahs kamen zwar westliche Technologien in den Iran, konnten westliche Freizügigkeiten in den großen Städten ansatzweise ausgelebt werden, aber freies Denken wurde in keiner Weise gefördert. Natürlich nicht, denn Meinungsfreiheit und kritisches Denken unterdrückt jede Diktatur. Das aber hat letztlich, und zwar mit voller Unterstützung des Westens, allen voran der USA und Großbritanniens, den Boden bereitet, als Khomeini die Unzufriedenheit des Volkes perfekt zu nutzen wusste zur Etablierung seiner Theokratie. Denn er verhieß die Zugehörigkeit zur Umma, der Gemeinschaft der Gläubigen, und erklärte jeden Zweifler im Land und den Westen insgesamt zum Feind.
    Ich möchte an dieser Stelle erzählen, wie ich mit der Religion groß geworden bin, um meinen kulturellen Hintergrund und den des iranischen Volkes vor der Revolution zu beleuchten. Denn ich fühle mich diesen Menschen nach wie vor sehr verbunden und möchte alles tun, damit die im Iran lebenden Menschen eine Zukunft in Freiheit erleben werden.
    Allah ist immer da und sieht alles. Das war für mich als kleines Mädchen von Anfang an eine Tatsache, so wie die, dass man das Wasser im Fluss holen musste. Die Existenz
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