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Ich habe abgeschworen

Ich habe abgeschworen

Titel: Ich habe abgeschworen
Autoren: Mina Ahadi , Sina Vogt
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Iran ist ein Vielvölkerstaat, heute sind rund 51 Prozent der Bevölkerung Perser, 24 Prozent Aserbaidschaner, 7 Prozent Kurden, dazu kommen Araber, Juden und weitere Minderheiten. Persisch ist nach wie vor die Amtssprache, wird aber nur von 58 Prozent der Menschen im Alltag gesprochen. Schon unter der Diktatur des Schahs sollten wir uns alle als Iraner begreifen und deshalb alle dieselbe Sprache sprechen.
    Da Aserbaidschan zum Teil auch in der Sowjetunion lag, gab es immer verwandtschaftliche Verbindungen der aserbaidschanischen Bevölkerung im Iran und dem Sowjetreich. Mein Großvater väterlicherseits hat eine Sowjetbürgerin geheiratet, sie war Bolschewistin. Da der Schah sich mit dem Westen verbunden hatte, war der Kommunismus bei Oppositionellen im Iran besonders populär. Die Teilung von Aserbaidschan in Iran und Sowjetunion ging durch die Familien hindurch, Geschwister konnten sich nur schwer besuchen, ihre Kinder sprachen in der Schule Russisch oder Persisch. Iranische Arbeiter gingen schon lange in die aserbaidschanische Hauptstadt Baku und arbeiteten dort in den Fabriken als Gastarbeiter. Sie brachten die Ideen von Marx und Engels mit nach Hause. Schließlich bildete sich im Zweiten Weltkrieg die Tudeh-Partei, die sich kurz darauf Kommunistische Partei des Iran nannte. Gegen ihren Einfluss unterstützen die USA den Schah, an Gotteskrieger dachte damals noch kein Politiker. Auch in der Familie meines Vaters waren viele Mitglieder der Tudeh-Partei, bis hin zu meinem Großvater. Die religiöse Tradition stand im Alltag neben vielen kommunistischen Strömungen der Opposition, in dieser Mischung bin ich aufgewachsen.
    Doch so wenig der Kommunismus seinen Ursprung im Iran hatte, so wenig kann man das vom Islam behaupten. Was die religiösen Kräfte in der Revolution von 1979 aber taten: Mit dem Diktat des Islam würden sie den Iran zu seinem Ursprung zurückführen. Aber der Islam hatte sich durch einen kolonialen Eroberungsfeldzug bis nach Persien ausgedehnt. Im siebten Jahrhundert kamen die Eroberer in der Nachfolge Mohammeds bis in das Gebiet des heutigen Iran, 642 unterlagen die herrschenden Sassaniden. Bis zum Jahr 900 war der Islam die tonangebende Religion im einstigen Perserreich geworden.
    Den Briten ging es tausend Jahre später um die Macht über das Erdöl und darum, ein Bollwerk gegen die Sowjetunion zu bilden, als sie Reza Khan 1921 bei seinem Staatsstreich gegen die Dynastie der Kadscharen unterstützten. Religion oder Menschenrechte spielten keine Rolle. Rheza Khan war ein Diktator, aber er erlaubte den Schulbesuch auch für Mädchen, sein Vorbild war Atatürk in der Türkei. Er verbot auch das Tragen von Kopftüchern, dieses vermochte er jedoch nicht durchzusetzen. Zwar war ein nicht geringer Teil der Bevölkerung, der vor allem in den großen Städten wohnte, westlich orientiert, aber die Mehrheit der Traditionellen setzte sich durch. Sein Sohn Mohammad Reza musste das Verbot sofort nach seiner Machtübernahme 1941 einschränken, nur in öffentlichen Ämtern mussten Frauen weiterhin ihr Kopftuch ablegen. Der Islam war Bestandteil des Alltags, aber noch benutzte ihn niemand zum Ausbau seiner eigenen Macht.
    Im Alltag regelte der Islam traditionell trotz des nun möglichen Schulbesuchs für Mädchen das Leben in engen Bahnen: Meine Großmutter, die Mutter meiner Mutter, war zwölf Jahre alt, als sie von ihrer Tante, der Schwester ihrer Mutter, eines Tages von ihrer Arbeit im Hof weggeholt wurde. Sie wurde ins Haus, in den Wohnraum gebracht, der auch als Küche und Schlafraum der Kinder diente. »Du wirst morgen heiraten. Dein Vater hat einen guten Mann für dich gefunden«, wurde der 12-Jährigen von ihrer Mutter eröffnet. Meine Großmutter hatte keine besonders klare Vorstellung davon, was nun auf sie zukam. Aber sie wusste, dass sie in das Haus und die Familie ihres Mannes wechseln würde, ab morgen würde sie bei fremden Menschen leben und den Haushalt machen. Einer 12-Jährigen macht so etwas Angst, wohl in jeder Kultur. Doch wusste meine Großmutter, was von ihr erwartet wurde – und sie hätte auch keine Alternative gekannt. So behielt sie ihr flaues Gefühl im Magen für sich. Sie wusste, dass keine Entscheidung von ihr erwartet wurde, sondern tugendhafte Folgsamkeit. Sie schwieg also, was als die angemessene Form galt, Zustimmung zu zeigen, und wurde am nächsten Tag die Frau meines Großvaters. Sie bekam drei Kinder, doch mein Großvater verließ die Familie nach zehn Jahren. Er ging
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