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Ich gegen Dich

Titel: Ich gegen Dich
Autoren: Jenny Downham
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eine Minute länger in diesem Alptraum leben musste, würde sie explodieren. Sie kam damit überhaupt nur zurecht, wenn sie abschaltete und an etwas anderes dachte, was ihr immer schwerer fiel. Weggehen war sehr viel einfacher. Sie ging nicht weit, weil sie keine Jacke anhatte, nur die Kiesauffahrt hinauf bis zum elektrischen Tor. Sie drückte auf den Knopf, wartete, bis es aufglitt, und trat hinaus. Der Fahrweg war schlammig aufgeweicht, mit matschigen Pfützen; die ersten paar Narzissen zitterten auf der Grasböschung. Hinter ihr schloss sich das Tor.
    Auf diesen Zufahrtsweg schaute sie jeden Abend von ihrem Fenster aus und fragte sich, wann Tom wohl nach Hause kam. Vertrau mir, hatte er in seinem Brief geschrieben. Sie wollte, dass die Wörter von der Seite aufflogen und am Himmel kreisten. Große Neonbuchstaben, die tief über der Stadt flogen, dicht über Läden und Häuser hinweg, ehe sie die Küstenstraße raufzogen, um endgültig über dem Meer hängenzubleiben. Vertrau mir. Alle würden die Worte lesen und Zutrauen fassen. Die Anklage würde fallengelassen, und sie würden alle wieder in ihren normalen Alltag zurückkehren.
    Aber es war nicht leicht, an seinem Glauben festzuhalten. Nach zwölf ganzen Tagen und Nächten knickte Ellie ein. Sie konnte weder sitzen noch stehen, hatte Probleme, sich auf irgendetwas zu konzentrieren. Der Tag ging so schnell rum, eine Minute jagte die andere; selbst die Stunden, in denen sie gelernt hatte, waren im Nu verflogen.
    Da zog eine Wolke über die Sonne, so dass Dunkelheit den Weg entlanggeglitten kam und sich zu ihren Füßen eine schwarze Schattenpfütze bildete. Ein Hund bellte aus dem Garten eines Nachbarn, und gleich darauf zog die Wolke weiter, und die Welt erstrahlte so hell, dass sie ihre Augen mit einer Hand abschirmen musste. Als sie wieder etwas sah, bog das Auto ihres Vaters in den Weg ein. Und wie durch einen Zaubertrick erschien Toms Gesicht am Fenster und grinste sie an.
    Ellie jubelte. Sie konnte nicht anders, der Freudenschrei brach hervor, als das Auto näher kam.
    »Er ist da!«, rief sie, und ihre Mum musste in der Nähe gewesen sein, weil sie um das Haus gelaufen kam und mit dem Klemmbrett wedelte.
    »Mach das Tor auf, Ellie, lass sie rein!«
    Und da war er, stieg wie der Papst aus dem Auto und betrat den Garten. Mum lief zu ihm, lachend, und er breitete die Arme aus. Einen Moment lang schwankten sie zusammen hin und her wie zwei Tänzer. Ellie war überrascht, wie zärtlich das aussah.
    Sie empfand eine seltsame Scheu vor ihm, als er sie über die Schulter ihrer Mutter hinweg anlächelte, als wäre sie in den letzten beiden Wochen eine Erwachsene geworden und dies wäre ihr Haus und er der Gast. Er sah verändert aus – vielleicht dünner.
    Ellie sagte: »Sie haben dich also rausgelassen?«
    Lachend kam er angeschlendert. »Die Polizei wollte mich dabehalten, stimmt schon, aber ich hab ihnen gesagt, ich hab Sehnsucht nach meiner Schwester.« Er legte einen Arm um sie und drückte sie eine Zeitlang. »Alles klar bei dir?«
    Sie lächelte. »Jetzt schon.«
    Sein Blick glitt zum Auto zurück, auf Mum, die seinen Rucksack aus dem Kofferraum hievte, und Dad, der den Koffer nahm.
    Es war derselbe, mit dem er damals skifahren war. Seltsame Vorstellung, dass er nicht nur in einem Flugzeug bis zu den Alpen gewesen war, sondern auch in der Jugendstrafanstalt in Norwich.
    Dad kam mit dem Koffer angerollt. »Schau mal da, Tom, was deine Schwester gemacht hat.«
    Ellie war es peinlich, als ihr Dad auf das am Zaun aufgespannte Transparent zeigte. Drei Nachmittage hatte sie daran gearbeitet, aber jetzt kam es ihr ein bisschen kitschig vor. Sie hatte sie alle vier unter einem Regenbogen mit einem Riesenherz drumherum gemalt. Oben hatte sie ein Familienwappen mit dem Motto TOM PARKER IST UNSCHULDIG entworfen. Aber das ganze Ding riss schon an den Ecken ein, wo sie es an den Zaun geheftet hatte. Es sah mehr wie ein schäbiges altes Laken aus als wie etwas, an dem ihr Herz gehangen hatte.
    »Hat Stunden um Stunden dran gesessen«, sagte ihr Dad und lächelte Ellie zu. Zum ersten Mal seit Tagen sah er ihr in die Augen.
    Tom stieß sie an. »Lieb von dir, Ellie, danke.«
    Mum kam mit Toms Jacke in den Armen an, die sie glattstrich und streichelte. »Hinterm Haus wartet auch noch eine kleine Überraschung«, sagte sie.
    »Was für eine Überraschung?« Tom schaute misstrauisch drein, und Ellie spürte, wie ihr Herz raste. Ihre Idee war das nicht gewesen, und sie wusste,
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