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Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Titel: Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)
Autoren: Irene Stratenwerth , Reinhard Berkau
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jedes Gefangenen. In den ersten Nächten war mir darunter eiskalt. Das lag wohl auch daran, dass die Medikamente, die mir hier verordnet worden waren, meinen Blutdruck zeitweise bedrohlich absacken ließen.
    Am meisten aber belastete mich die erzwungene Untätigkeit. Jeanne Baker hatte mir schon angekündigt, dass sie in den ersten Wochen kaum Zeit finden würde, sich in meinen Fall einzuarbeiten. An juristische Literatur kam ich hier nur nach wochenlangen Bestell- und Wartezeiten heran. Und das FBI hatte seine Videos und Tonaufzeichnungen über die knapp 24 Stunden, die ich in Florida in Freiheit verbracht hatte, noch nicht an meine Anwältin herausgegeben.
    Jan Jütting, der mit seinen täglichen Besuchen zum direkten Bindeglied nach Hause, zu meiner Familie geworden war, flog nach dem bond hearing wieder zurück nach Hamburg. Dort gab es so viel zu tun – und ich konnte kaum etwas dazu beitragen! Eine Möglichkeit, ins Ausland zu telefonieren, hatte ich nicht. Ich konnte nur Briefe schreiben und wusste, dass ich auf die Antworten bis zu 14 Tage warten müsste.
    Die ersten Blätter, die ich beschrieb, lieh ich mir von Mitgefangenen. Dann belieferte mich der Gefangeneneinkauf mit Briefblocks und Kugelschreibern mit einem seltsam kurzen und weichen Griff. Vermutlich galt auch normales Schreibwerkzeug hier als potenzielle Waffe.
    Seite für Seite füllte ich mit Beschreibungen der Räume, in denen ich mich befand, der Kleidung, die ich jetzt trug, des Essens, das man uns dreimal täglich vorsetzte, des Wachpersonals und der Mitgefangenen. Ich wollte nichts von alldem vergessen. Vielleicht war das Schreiben auch eine Möglichkeit, mich immer wieder zu vergewissern, dass dies kein Albtraum war, sondern eine Realität, die ich schwarz auf weiß festhalten konnte.
    Ich hatte inzwischen gelernt, dass wir in der Sprache der Gefängnisverwaltung bodies hießen – es sind Körper, nicht Menschen, deren Leben in den amerikanischen Strafanstalten verwahrt wird. «Es gibt allein im Bundesstaat Florida mehr als 70 prisons und geschätzt 150 jails : Das bedeutet, dass das Land praktisch voller Gefangener und die Inhaftierung eines Teils der Bevölkerung eine gewisse Normalität ist», schrieb ich an meine Söhne.
    Vor meiner eigenen Inhaftierung hatte ich mich nur wenig mit dem Justiz- und Strafvollzugssystem in den USA befasst. Jetzt hätte ich gern mehr darüber gewusst. Meine einzige Informationsquelle waren aber erst einmal die Gespräche mit anderen Inhaftierten. Oder mit meiner Anwältin, aber wir hatten ja immer eine Menge anderer Dinge zu besprechen. So erfuhr ich damals noch nicht, dass ich einer von über zwei Millionen Gefangenen in den USA war und dass in keinem Land der Welt mehr Menschen inhaftiert sind (mehr dazu ab S.   38   ff.). Ich hatte noch nie etwas vom sogenannten gefängnisindustriellen Komplex gehört und davon, dass der Bau und die Ausstattung von Gefängnissen, der Transport, die Bewachung, die Kleidung und Ernährung von Gefangenen ein gigantisches Geschäft darstellen, das der Staat mit ständig wachsender Nachfrage nährt.
    Ich zeichnete eine Skizze meiner Zelle auf der infirmary und schickte diesen Teil des Briefes dann doch nicht ab: «Ich muss damit rechnen, dass alles gegen mich gedreht und mit den schmutzigsten Tricks gearbeitet wird.» In den USA ist ein Fluchtversuch aus dem Gefängnis ebenso strafbar wie seine Vorbereitung. «Denkt Euch jetzt einfach einen Raum 5,00   m breit und 5,50   m lang, von dem eine Ecke schräg abgeschnitten ist und an dem ein Raum von ca. 1,50 × 1,50   m hängt, in dem Toilette und Waschbecken untergebracht sind und drei Betten stehen», skizzierte ich die Situation stattdessen mit Worten. «Der Raum dürfte auf jeden Fall mehr als 20 qm groß sein, was für die Verhältnisse hier als komfortabel angesehen werden muss. Bett 3 am Fenster mit Blick in Richtung Intracoastal ist meins.»

    Ich wollte mich auf keinen Fall unterkriegen lassen. Und so beschloss ich, zumindest einen meiner Vorsätze für das Jahr 2006 sofort in die Tat umzusetzen: Ich wollte abnehmen!
    Der Stress, unter dem ich stand, und das katastrophale Angebot aus der Gefängnisküche machten es mir leicht. Ich bekam ohnehin kaum etwas hinunter. Nichts von dem Frühstück, das man uns morgens um halb fünf in die Zelle schob: Cornflakes, Milch, einen Bagel, dazu manchmal diesen Schlauch mit dem undefinierbaren roten Saft, manchmal eine braune, lauwarme Flüssigkeit, die sie Kaffee nannten. Eine
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