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Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Titel: Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)
Autoren: Irene Stratenwerth , Reinhard Berkau
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Wolf Dieter Reinhard in Hamburg gesammelt. Der Rechtsanwalt stand damals partiell unter Berufsverbot, hatte sogar zeitweise in Untersuchungshaft gesessen, weil man ihn der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung bezichtigte. Später wurde er freigesprochen und voll rehabilitiert. Dass auch ein Anwalt inhaftiert werden kann, ohne dass er sich etwas hat zuschulden kommen lassen, ist mir seitdem stets bewusst gewesen.
    Aber das, was mir hier passierte, war etwas anderes. Ich verstand nur noch nicht, was es war. Ich war in eine Falle gegangen. Ich war unschuldig, ich hatte weder gegen deutsche noch gegen amerikanische Gesetze verstoßen. Aber ich war in ein System hineingeraten, in dem das niemanden zu interessieren schien. Das war der eigentliche Schock.
    Um meine Kanzlei machte ich mir in diesem Moment noch keine allzu großen Sorgen: Eine Abwesenheit von vielleicht zwei Monaten war verkraftbar. Jan Jütting würde mich in den wichtigsten Angelegenheiten vertreten. Aber ich dachte an meine Kinder. Anne Jo und Lisa Lou standen beide vor dem Abschluss ihres Studiums, Jakob und Jonathan hatten mit ihrer Berufsausbildung gerade erst begonnen. Wie würden sie damit fertigwerden, dass ihr Vater in den USA im Knast saß? Würden sie ihren Weg unbeirrt weitergehen? Alle vier Kinder waren bis jetzt noch auf meine Unterstützung angewiesen. Jetzt würde möglicherweise ich es sein, der ihre Hilfe benötigte. Das machte mir am meisten zu schaffen.
    Ich würde hier nur wieder herauskommen, wenn es mir gelang, meine Unschuld zu beweisen. Meine ganze Kraft, meine ganze Erfahrung als Strafverteidiger musste ich jetzt auf die Vorbereitung des Strafprozesses konzentrieren. Ich brauchte die Texte der Gesetze, gegen die ich angeblich verstoßen hatte, und die Rechtsprechung dazu; ich musste herausfinden, welches «Beweismaterial» der Staatsanwalt vorlegen wollte. Und ich musste meiner amerikanischen Verteidigerin den komplizierten Rechtsstreit erklären, den ich eigentlich hier, in Florida, durch einen Vergleich hatte beenden wollen. Die Unterlagen, die ich zu diesem Zweck mit in die USA gebracht hatte, waren bei meiner Verhaftung natürlich beschlagnahmt worden. Vorläufig verfügte ich nicht einmal über ein Blatt Papier und einen Stift, um einen Brief zu schreiben.

    Am nächsten Tag bekam ich meinen ersten Hofgang im Broward County Jail . Ich durfte für eine gute halbe Stunde einige Runden um das kleine Basketballfeld im Innenhof des Gefängniskomplexes drehen. Zum ersten Mal wieder frische Luft! In unserem Zellentrakt war kein Fenster zu öffnen. Die Bewegung tat gut und half mir, etwas von der gewaltigen Spannung abzubauen, unter der ich stand. Ich ahnte noch nicht, dass dies der einzige Hofgang blieb, den man mir während meines monatelangen Aufenthaltes im Broward County Jail gewährte.
    Ich war inzwischen auf die infirmary verlegt worden, die Krankenstation im Gefängnis. Nur dort nämlich gab es Steckdosen in den Zellen, an die ich mein Atemgerät anschließen konnte. Das war’s aber schon, was uns Bewohnern der infirmary an zusätzlichem Komfort geboten wurde: Ansonsten gab es hier nur etwas mehr medizinisches Personal.
    Seit dem Tag meiner Verhaftung trug ich noch immer dieselben Socken und dieselbe Unterhose. Es war der einzige persönliche Besitz, den sie mir gelassen hatten. Den grauen Overall, auf dessen Rücken ich als federal prisoner gekennzeichnet war, hatten sie inzwischen gegen die übliche Anstaltskleidung ausgetauscht: eine lange Hose ohne Taschen und ein Sweatshirt mit kurzem Arm, beides in Beige, dazu ein Paar billige Plastik-Badelatschen. Außerdem hatte ich ein paar Artikel zur Körperpflege bekommen: Handtücher, Waschlappen, Zahn-Gel, ein Stück Seife, eine Zahnbürste und einen Plastikkamm.
    Ein paar Sachen konnte man sich beim zentralen Gefangeneneinkauf bestellen. Aber das war nur einmal in der Woche möglich; bis zur Auslieferung der Ware dauert es weitere sieben Tage. Persönliche Habseligkeiten waren hier im Übrigen einfach nicht vorgesehen. Bücher waren – bis auf die Bibel – grundsätzlich verboten. Es gab weder Schränke noch Regale, in denen man irgendetwas hätte aufbewahren können. Was wir besaßen, mussten wir mit uns herumtragen oder irgendwie in unseren Betten verstauen.
    In den schmalen Rahmen aus gekantetem Stahlblech lagen dünne Plastikmatratzen. Statt eines Kopfkissens gab es an einem Ende eine leichte Erhöhung. Zwei Laken und eine Wolldecke gehörten zur Grundausstattung
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