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Ich ein Tag sprechen huebsch

Ich ein Tag sprechen huebsch

Titel: Ich ein Tag sprechen huebsch
Autoren: David Sedaris
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Wetterbedingungen und die jeweilige Tageszeit die geeignetste war. Sie brachte uns bei, dass falsches Vertrauen in Verbindung mit »Hawaiian Tropic« zu einem schmerzhaften und unansehnlichen Sonnenbrand führen konnte, der am letzten Abend der Ferien, wenn das Defilee für die alljährliche Wahl der Miss Sonnenöl anstand, zu einem sicheren Punktabzug führte: Nach der kritischen Begutachtung durch unsere Mutter wurde derjenige von uns, der die tiefste Bräune hatte, mit einer Krone, einer Schärpe und einem Zepter gekürt.
    Theoretisch konnte der Preis an einen Kandidaten wie an eine Kandidatin gehen, aber auf der Schärpe stand »Miss Sonnenöl«, weil alle davon ausgingen, dass meine Schwester Gretchen den Titel davontragen würde, wie jedes Jahr. Für sie war das Bräunen nicht mehr bloß ein leidenschaftlich betriebenes Hobby, sondern eine Art psychischer Dysfunktion. Wir nannten sie eine Bräunomanin: jemand, der einfach nicht genug bekommen kann. Jahr für Jahr lief sie mit einer Grundbräune am Strand auf, von der wir anderen nicht einmal als Ergebnis unserer Anstrengungen träumen konnten. Mit einer Mischung aus Neid und Bewunderung schauten wir zu, wie sie auf ihrer Aluminium-Decke in der Sonne brutzelte. Die Haut zwischen den Zehen war genauso gebräunt wie ihre Handflächen, selbst hinter den Ohren war kein heller Fleck. Ihre Methode basierte auf Baby-Öl und einer Reihe von Posen, die zu Menschenaufläufen am Strand führten, wobei Mütter mit sandverklebten Fingern ihren Kindern die Augen zuhielten.
    Da ich nie länger als zwanzig Minuten stillsitzen kann, lockerte ich meine Bräunungs-Sessions mit Spaziergängen zum Pier auf. Auf einem meiner Ausflüge entdeckte ich meinen Vater bei einer Gruppe von Fischern, die damit beschäftigt waren, aus einem Netz von der Größe eines Zirkuszelts die Knoten zu lösen. Die lebenslange Arbeit bei Sonne und Wind zeitigte bei ihnen das, was meine Schwestern und ich das Samsonite-Syndrom nannten, was bedeutete, dass ihre beneidenswerte Bräune wieder zunichte gemacht wurde durch eine zähe, lederartige Haut, die uns an den Koffer erinnerte, in dem unsere Mutter unsere sämtlichen Baby-Fotos aufbewahrte. In den Arbeitspausen tranken die Männer Mountain Dew aus Literflaschen und blickten zu meinem Vater hinüber, der mit einem Stock in der Hand am Wasser stand und den Küstenstreifen entlang starrte.
    Ich versuchte, unbemerkt an ihm vorbeizukommen, aber er rief mich zu sich und erklärte, gerade auf mich hätte er gewartet. »Hast du eine Vorstellung, wie viel Sandkörner es auf der Welt gibt?« fragte er. Ich hatte mir diese Frage nie gestellt. Anders als die Frage, wie viel Soleier in ein Einmachglas passten oder wie viel menschliche Gehirne man brauchte, um das Gewicht eines tragbaren Fernsehers aufzuwiegen, schien diese Gleichung unweigerlich etwas mit dem verhassten Wort Googolplex zu tun zu haben, einem Fachausdruck, den er das ein oder andere Mal in meiner Gegenwart benutzt hatte. Der Ausdruck bezeichnete lediglich die Vorstellung einer Zahl und war folglich ohne jeden Nutzen.
    In der Schule hatte man uns einmal erklärt, wenn ein einzelner Vogel allen Sand der amerikanischen Ostküste, Körnchen für Körnchen, zur Westküste Afrikas schaffen müsste, würde er. . . die genaue Zahl der Jahre habe ich gar nicht mehr mitbekommen, da ich in Gedanken ganz bei dem armen Vogel war, den man mit dieser unseligen Aufgabe betraut hatte. Das schien mir himmelschreiend ungerecht, da, anders als bei einem Pferd oder einem Blindenhund, der ganze Stolz des Vogeldaseins darin besteht, von nichts und niemandem zur Arbeit gezwungen zu werden. Vögel suchen nach Futter und bauen Nester, aber in ihre Freizeitgestaltung kann ihnen keiner reinreden. Ich stellte mir vor, wie dieser Vogel von seinem Ast herabblickte und sagte: »Was, bitte schön, soll ich tun?« Und dann flog er keckernd davon, um seinen Freunden von der komischen Geschichte zu erzählen. Wieviel Sandkörner es auf der Welt gibt? Viele. Fall erledigt.
    Mein Vater nahm seinen Stock und fing an, eine Gleichung in den Sand zu schreiben. Wie alle anderen auch war es ein Ungetüm mit unzähligen x und y, die sich auf flott gezogenen Strichen übereinander-türmten. Buchstaben wurden mit Symbolen multipliziert, anschließend in Klammern zusammengefasst und an den unmöglichsten Stellen mit winzigen Hochzahlen versehen. Als die Gleichung von sechs auf zwölf Fuß anwuchs und mein Vater eine neue Zeile in Angriff nahm,
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