Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich bin Legende

Ich bin Legende

Titel: Ich bin Legende
Autoren: Richard Matheson
Vom Netzwerk:
blickte verständnislos auf die dunkle Gestalt vor ihm.
    »Ich bin es, Ruth!«, sagte sie erneut, und laut diesmal.
    Das Erwachen war wie ein eisiger Wasserschwall. Etwas schien mit kalten Händen in seinem Bauch zu wühlen, ihn und die Brust zusammenzukrampfen. Es war nicht Virginia! Er schüttelte den Kopf und rieb sich mit zitternden Fingern die Augen.
    Dann starrte er, wie von einer schrecklichen Last niedergedrückt, vor sich hin.
    »Oh«, murmelte er schwach. »Oh, ich ...«
    Er blieb stehen, wo er war, und schwankte noch ganz leicht, während sich allmählich die Schleier vor seinen Augen lösten.
    Er blickte auf das offene Guckloch, dann auf Ruth.
    »Was machst du denn da?«, erkundigte er sich mit schlaftrunkener Stimme.
    »Nichts«, antwortete sie nervös. »Ich ... ich konnte nicht schlafen.«
    Er zuckte bei dem plötzlichen Licht zusammen, dann nahm er schnell die Hand vom Schalter und drehte sich um. Sie lehnte an der Wand, blinzelte in die Lampe. Ihre Hände hatte sie zu Fäusten geballt an die Seiten gedrückt.
    »Wieso bist du angezogen?«, fragte er überrascht.
    Sie schluckte und starrte ihn an. Wieder rieb er sich die Augen und schob das lange Haar von den Schläfen zurück.
    »Ich ... ich habe nur hinausgeschaut«, antwortete sie.
    »Aber warum bist du angekleidet?«
    »Ich konnte nicht schlafen.«
    Er blickte sie immer noch ein wenig benommen an, aber er spürte, wie sein Herzschlag sich beruhigte. Durch das offene Guckloch hörte er ihr Schreien draußen und Cortmans Brüllen: »Komm raus, Neville!« Er trat ans Guckloch und schob die Klappe vor. Dann drehte er sich zu Ruth um.
    »Ich möchte wissen, wieso du angezogen bist!«
    »Oh, aus keinem besonderen Grund.«
    »Wolltest du fort, während ich schlief?«
    »Nein, ich ...«
    » Wolltest du?«
    Sie holte erschrocken Luft, als er sie am Handgelenk packte.
    »Nein, nein«, sagte sie schnell. »Wie könnte ich, wo sie doch alle draußen sind!«
    Er atmete schwer und studierte ihr verstörtes Gesicht. Unwillkürlich schluckte er. Er erinnerte sich an den Schock beim Aufwachen, als er sie für Virginia gehalten hatte.
    Abrupt ließ er ihren Arm los und drehte sich um. Da hatte er sich eingebildet, die Vergangenheit sei tot für ihn! Wie lange dauerte es denn, bis die Vergangenheit starb?
    Ruth blieb stumm, während er sich ein ganzes Glas voll Whisky einschenkte und ihn würgend schluckte. Virginia, dachte er elend. Virginia, du bist immer noch bei mir. Er schloss die Augen und biss die Zähne zusammen.
    »Virginia«, sagte Ruth leise. »War sie deine Frau?«
    Seine Gesichtsmuskeln spannten sich und erschlafften.
    »Geh wieder ins Bett!«, sagte er mit tonloser Stimme, ohne ihre Frage zu beantworten.
    Sie wich ein wenig zurück. »Tut mir leid«, entschuldigte sie sich. »Ich hatte nicht die Absicht ...«
    Eigentlich wollte er gar nicht, dass sie ins Bett zurückging, das wusste er plötzlich. Es war besser, wenn er jetzt nicht allein blieb.
    »Ja, ich glaubte, du seist meine Frau«, hörte er sich sagen. »Ich bin aufgewacht, hab dich gesehen und gedacht ...«
    Wieder nahm er einen tiefen Schluck Whisky. Er hustete heftig, als ihm ein Teil davon in die falsche Kehle geriet. Ruth blieb im Schatten stehen und hörte ihm zu.
    »Sie kam zurück, weißt du?«, murmelte er. »Ich hatte sie begraben, aber eines Nachts kam sie zurück. Sie sah aus wie - wie du, Umrisse, ein Schatten. Sie war tot! Aber sie war zu mir zurückgekommen. Ich versuchte, sie bei mir zu behalten. Ich versuchte es wirklich, aber es war nicht mehr das Gleiche - weißt du? Sie wollte nur noch ...«
    Er bemühte sich, das Schluchzen in seiner Kehle zu unterdrücken.
    »Meine eigene Frau«, seine Stimme zitterte, »war nur zurückgekommen, um mein Blut zu trinken!«
    Er stellte das Glas heftig auf die Barplatte, drehte sich um, ging ruhelos zum Guckloch und wieder zurück zur Bar. Ruth schwieg. Sie war in der Dunkelheit stehen geblieben und lauschte seinen Worten.
    »Ich musste sie wegbringen«, fuhr er fort. »Ich musste das Gleiche mit ihr tun wie mit den anderen. Mit meiner eigenen Frau!« Er schluckte jetzt unüberhörbar. »Einen Pfahl!« Seine Stimme war ein Wimmern. »Ich musste einen Pfahl in sie treiben! Ich wusste noch nicht, dass es eine andere Möglichkeit gab. Ich ...«
    Er konnte nicht weitersprechen. Eine lange Weile stand er nur mit zusammengepressten Lidern da und zitterte hilflos am ganzen Körper.
    Dann fuhr er fort. »Es sind jetzt fast drei Jahre her. Aber ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher