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Ich bin kein Serienkiller

Ich bin kein Serienkiller

Titel: Ich bin kein Serienkiller
Autoren: Dan Wells
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elektrischen Stuhl. »Was ist, wenn sie mich verhaften? Wenn sie glauben, ich hätte Neblin und alle anderen umgebracht? Wenn sie Neblins Akten lesen und glauben, ich sei ein Psychopath, stecken sie mich bestimmt ins Gefängnis.«
    Mom blieb stehen, wandte sich um und sah mir tief in die Augen.
    »Hast du Neblin getötet?«
    »Natürlich nicht.«
    »Natürlich nicht«, wiederholte sie. »Und du hast auch sonst niemanden getötet.« Sie öffnete ihren Mantel und zeigte mir das Blut, das sich auf den Seiten und sogar auf dem Nachthemd verteilt hatte. »Wir sind beide voller Blut, und wir sind beide unschuldig. Die Cops werden verstehen, dass wir zu helfen versuchten und einfach nur überleben wollten.« Sie ließ den Mantel fallen, kam zu mir und fasste mich fest an den Armen, dann beugte sie sich vor, bis unsere Gesichter dicht beieinander waren. »Hauptsache, wir stehen es gemeinsam durch. Ich lasse nicht zu, dass sie dich irgendwo einsperren, und ich lasse dich nie im Stich. Wir sind eine Familie. Ich bin immer für dich da.«
    Irgendetwas passierte tief in meinem Innern, und mir wurde klar, dass ich mein ganzes Leben lang auf diese Worte gewartet hatte. Sie erdrückten und befreiten mich im gleichen Augenblick und passten sich in meine Seele ein wie ein lange vermisstes Puzzleteil. Die Anspannung der Nacht und des ganzen Tages, der letzten fünf Monate, alles strömte aus mir heraus wie aus einem geöffneten Blutgefäß, und ich sah mich selbst zum ersten Mal, wie meine Mutter mich sah – nicht als Verrückten, nicht als Stalker, nicht als Mörder, sondern als traurigen, einsamen Jungen. Ich sank in ihre Arme und konnte zum ersten Mal seit sieben Jahren weinen.
    In den paar Minuten, bevor die Polizei kam, ging Mom hinüber, um nach den Crowleys zu sehen. Ich holte unterdessen Mr Crowleys Handy aus seinem weggeworfenen Mantel. Für alle Fälle durchsuchte ich auch Neblins Taschen und nahm sein Gerät ebenfalls an mich. Da ich nicht genug Zeit hatte, beide Handys sorgfältig zu verstecken, warf ich sie einfach über Crowleys Zaun hinweg in den Wald. Da drüben gab es keine Fußabdrücke, sondern nur eine makellose Schneedecke. Dort waren sie hoffentlich sicher, bis ich sie dauerhaft entsorgen konnte. Schließlich fiel mir gerade noch rechtzeitig mein GPS-Sender ein. Ich holte das zweite Gerät aus Crowleys Kofferraum und warf die beiden Apparate ebenfalls in den Wald, als die erste Sirene schon ganz in der Nähe war.
    Gleich darauf näherten sich auch die blinkenden Lichter. Eine lange Kolonne von Streifenwagen, Krankenwagen und Gefahrgutspezialisten, sogar ein Feuerwehrauto war dabei. Die Nachbarn sahen von Veranden und Fenstern aus zu und bibberten in ihren Mänteln und Pantoffeln, während ein Heer Uniformierter auf der Straße ausschwärmte und den ganzen Bereich absperrte. Neblins Leiche wurde gefunden und fotografiert. Die immer noch bewusstlose Kay wurde versorgt und ins Krankenhaus gebracht. Mom und ich wurden vernommen, und die Beamten untersuchten und katalogisierten sorgfältig das Durcheinander in unserer Leichenhalle.
    Der FBI-Agent Forman, den ich in den Nachrichten gesehen hatte, befragte Mom und mich fast die ganze Nacht über in der Leichenhalle – zuerst zusammen, dann noch einmal nacheinander, während der jeweils andere putzte. Ich erzählte ihm und allen anderen, die mich fragten, die gleiche Geschichte wie Mom: Ich hatte ein Geräusch gehört und war nach draußen gegangen, um nachzusehen, ich sah den Mörder in Crowleys Haus eindringen. Sie fragten, ob ich wisse, wo Mr Crowley sei, und ich antwortete, dass ich keine Ahnung hätte. Dann wollten sie wissen, warum ich Neblins Leiche weggeschafft hätte. Mir fiel kein Grund ein, der nicht verrückt geklungen hätte, also sagte ich nur, das sei mir in dem Augenblick wie ein guter Einfall vorgekommen. Über den Kleister in unserem Hinterzimmer sagten wir mehr oder weniger die Wahrheit. Irgendetwas hatte uns nach drinnen gejagt, ich hatte es mit der einzigen verfügbaren Waffe bekämpft, und darauf war es vor unseren Augen zu einer klebrigen schwarzen Masse zerschmolzen. Ich wusste nicht, ob sie uns glaubten oder nicht, aber irgendwann waren sie alle zufrieden.
    Bevor sie gingen, fragten sie noch, ob ich den psychologischen Dienst in Anspruch nehmen wolle, um das gleichzeitige Verschwinden zweier Männer zu verarbeiten, die ich recht gut gekannt hatte. Ich antwortete darauf, das komme mir wie ein Verrat an meinem ersten Therapeuten vor, wenn ich nun
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